Freitag, 10. November 2017

Blöde Kuh

Gisela verschmierte die Butter auf ihrem Brot. Das Gesicht, das sie dabei machte, verriet, dass sie innerlich kochte.
„Ist was?“, fuhr sie ihren Mann an, der sie ansah und sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte.
„Nein, nichts. Ich dachte nur, du schaust so mürrisch.“
Im selben Moment ahnte er, dass er das besser nicht gesagt hätte.
„Weißt du, was diese Schnepfe von gegenüber zu mir gesagt hat? Ich wäre eine Übermutter hat sie gesagt und ich würde unter dem Helfersyndrom leiden. Mein Verhalten anderen gegenüber sei krankhaft, hat sie gesagt. Ich solle mir mal lieber eine Arbeit suchen, bei der ich Anerkennung fände, anstatt immerzu anderen mit meinen Hilfsangeboten auf die Nerven zu gehen.“
„Na, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, erwiderte Bernd, was seine Angetraute erst recht auf die Palme brachte.
„Was soll das denn heißen? Was ist nicht so schlimm? Mit mir ist es nicht so schlimm oder was sie gesagt hat, ist nicht so schlimm oder was ist nicht so schlimm?“
„Ich meine ja nur“, antwortete Bernd kleinlaut, „dass das mit deinem Helfersyndrom nicht so schlimm ist.“
„Ach, wie nett. Das ist also nicht soooooo schlimm – aber schlimm schon, oder was? Ist klar, dass du mit dieser Schnepfe unter einer Decke steckst, hätte ich mir ja denken können. Blöde Kuh, blöde! – Nur wegen der hab ich heute Morgen Kopfschmerzen. Und jetzt gibst du ihr auch noch recht.“
„Aber Schatz, verdreh mir doch nicht die Worte im Mund. Ich hab doch nur gesagt, dass ich es nicht schlimm finde, dass du anderen Menschen gerne hilfst. Das ist doch nett von dir.“
Ui, da hatte Bernd ja gerade noch mal die Kurve gekriegt. Seine Gisela pflegte nämlich, sehr schnell aus der Haut zu fahren. Jetzt war Diplomatie gefragt. Nun war Bernd von Natur aus nicht der größte Diplomat, doch er hielt es in diesem Fall für ratsam, nun seinerseits die Schnepfe schlecht zu machen.
„Nimm dir das doch nicht so zu Herzen, was die Trude sagt. Du kennst sie doch. Sie ist nun mal eine der größten Tratschen in unserer Nachbarschaft.“
„Ja, das ist sie. Da gebe ich dir ausnahmsweise recht. Und so was nennt sich dann Freundin. Pah, dass ich nicht lache. Die kann mich kreuzweise, kann die mich. Den Buckel runter rutschen kann die mir.“
„Die soll mal lieber vor ihrer eigenen Haustür kehren“, meinte Bernd, „und was heißt hier überhaupt, du sollst mal lieber arbeiten gehen. Als wenn du nicht schon genug mit dem Haus und allem zu tun hättest. Guck dir doch nur an, wie das bei denen aussieht. Sodom und Gomorra sag ich da nur. Also wenn ich an der Stelle von dem Heinz, ihrem Mann, wäre, du, dann würde ich der Trude aber was erzählen. Aber mit diesen langen Fingernägeln kann ja auch keiner im Garten arbeiten.“
Gisela lachte auf. „Da haste recht, Bernd. Die kann mit ihren Fingernägeln den Garten direkt umgraben.“
„Überhaupt, wie die sich immer anzieht. Also das ist auch gar nicht mein Geschmack. Immer diese engen kurzen Röcke. Dabei hat sie gar keine schönen Beine. Aber wahrscheinlich meint sie, andere würden ihre Krampfadern nicht sehen.“
„Ja du, da kann sie aber nix für“, trat Gisela nun unerwartet für ihre Nachbarin ein. „Das ist erblich bedingt, hat sie mir mal erzählt. Wohl vonner Seite von ihrer Mutter her. Die hatte das wohl auch. Ne, schön aussehen tut es nicht, aber sonst hat sie ja noch ne gute Figur.“
„Findest du? Also mir ist sie zu dünn. Ich mag es lieber, wenn die Frauen ein paar Pfündchen mehr auf den Rippen haben.“
„So wie ich, oder was?“
„Ja, mein Schätzchen, so wie du.“
Oh weia! Bernd tapste an diesem Morgen wirklich von einem Fettnäpfchen ins nächste.
„Soll das heißen, dass ich fett bin?“
„Aber das hab ich doch gar nicht gesagt“, rechtfertigte er sich. „Ich hab doch nur gemeint, dass ich deine Figur besser finde, als die von der Trude.“
Gott sei Dank. Gisela ließ das mal so im Raum stehen. Ihr war heute wohl nicht nach Streiten zumute. Sie stand auf und ging ins Bad, um sich eine Kopfschmerztablette zu holen. Im selben Moment fiel ihr das verstopfte Rohr unter dem Waschbecken wieder ein. Als sie zurück in die Küche kam, fuhr sie ihren Mann an: „Ich hab dir schon 1000 mal gesagt, dass das Wasser im Bad nicht mehr richtig abläuft. Kümmerst du dich da jetzt drum oder soll ich den Handwerker rufen?“
Meine Güte, mit Gisela war heute aber wirklich nicht gut Kirschen essen. Wie gut, dass er gleich los konnte, Richtung Finanzamt. Die Arbeit dort war immer noch besser, als den Tag mit einer schlecht gelaunten Ehefrau zu verbringen.
Im selben Moment ging Bernds Laune direkt in den Keller: Und wohin sollte er in einem Jahr flüchten, wenn er Rentner wurde?

© Martina Pfannenschmidt, 2017