…war ein richtiger Vielfraß. Kaum war sie geboren,
begann sie zu fressen. Bald hatte sie das ganze Blatt verspeist, auf dem sie
aus einem Ei geschlüpft war. Ihre Mutter hatte es dort abgelegt, damit die
kleine Raupe nicht lange nach Essbarem suchen musste.
Als die Raupe einige Tage gefressen hatte, ruhte
sie sich ein wenig aus. Es war ganz schön anstrengend, ständig zu futtern.
Ihr Blick fiel auf den Teich, der sich unter ihr
befand, und sie spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Dicke Tränen traten in
Chipsis Augen. Das war sie? Sie sah aus wie eine Presswurst und ihre kurzen
Stummelbeinchen waren hässlich. Die anderen Tiere, die sie kannte, sahen alle
viel hübscher aus als sie.
In dem Moment landete ein wunderschöner
Schmetterling direkt neben der kleinen Raupe. „Hallo, Chipsi“, sagte der
Falter. „Ich bin deine Mutter und möchte dir erzählen, was das Leben noch für
dich bringen wird.“
„Du willst meine Mutter sein?“, schniefte die
Raupe. „Schau dich an. Du bist wunderschön und ich bin hässlich. Das muss ein
Irrtum sein. Du kannst niemals meine Mutter sein.“
„Doch ich bin es – ganz sicher. Sei bitte nicht
traurig, Chipsi“, sprach sie weiter. „Eines Tages wirst du auch ein
Schmetterling sein“.
Die Raupe horchte auf. „Aber wie soll das
geschehen?“, fragte sie und in ihren Augen funkelte ein kleiner
Hoffnungsschimmer.
„Du musst noch ganz viel fressen, kleine Chipsi“,
sagte ihre Mutter „und aufpassen musst du auch, damit du nicht von einem Vogel
gefressen wirst. Und wenn du dann dick und rund bist, dann wirst du einen
gaaaaanz langen Faden spinnen. Und in diesen Faden wirst du dich einwickeln.
Wenn du das gemacht hast, ist deine neue Wohnung, die man Kokon nennt, fertig.
Und in diesem Kokon geschieht deine Verwandlung. Aus deinen Kiefern wird ein
Rüssel. Aus deinen Stummelbeinchen werden lange Beine und aus den Punktaugen
werden Facettenaugen, mit denen du wunderbar sehen können wirst.“
„Bist du ganz sicher, dass es so kommen wird?“,
fragte Chipsi.
„Ja, ich bin ganz sicher, denn ich habe diese
Verwandlung bereits hinter mir, wie du sehen kannst“.
„Und dann“, fragte die Raupe weiter. „Wenn ich
dann in diesem Kokon fertig bin, wie geht es dann weiter?“
„Solange du in deinem Kokon bist und dich verpuppt
hast“, sagte der Schmetterling, „wirst du dich nicht bewegen und auch nichts
fressen. Und wenn der ‚Umbau’ dann fertig ist, wird die Hülle deines Kokons
aufplatzen und du kannst dich befreien.“
„Und dann fliege ich los. Ist es so?“, fragte die
kleine Raupe aufgeregt.
„Nun mal langsam, kleine Chipsi, ganz so schnell
geht es nicht. Deine Flügel werden noch ganz verknittert sein und viel zu weich
zum Fliegen. Dann musst du ganz viel Blut in deine Flügel pumpen und einige
Stunden warten, bis sie hart geworden sind. Und dann, dann kannst du los
fliegen“, sagte der Schmetterling.
„Und dann, Mama, wenn ich dann fliegen kann, was
mache ich dann?“, fragte die kleine Raupe weiter.
„Dann fliegst du von Blüte zu Blüte. Nicht jeder
Nektar wird dir schmecken, doch du wirst sofort wissen, welche Blume dir
schmeckt, denn du kannst 1000 x besser schmecken, als zum Beispiel der Mensch“,
erklärte der Schmetterling weiter.
„Aber dann fresse ich ja auch nur wieder und habe
keine Aufgabe“, sagte Chipsi enttäuscht.
„Doch, du wirst eine wundervolle Aufgabe haben“,
tröstete der Schmetterling die kleine Raupe.
„Welche Aufgabe, Mama? Sag schon, welche Aufgabe
werde ich haben?“
Der Schmetterling schmunzelte über sein ungeduldiges
Kind. „Du wirst den Blumen helfen, sich fortzupflanzen, denn du wirst auf
deinem Weg von einer Blüte zur anderen Blütenstaub transportieren und so den
Pflanzen helfen, zu überleben.“
„Das ist ganz wunderbar, Mama. Ich wusste gar
nicht, wie schön das Leben sein kann. Aber jetzt habe ich wirklich großen
Hunger. Tschüß Mama. Jetzt muss ich wieder fressen und wenn ich ein
Schmetterling bin, so wie du, dann sehen wir uns wieder. Und es wird ganz
bestimmt so kommen, wie du gesagt hast?“, fragte die kleine Raupe noch einmal
ungläubig.
„Es wird ganz bestimmt so kommen“, antwortete der
Schmetterling, erhob sich leise und flog davon.
© Martina Pfannenschmidt, 2014