Montag, 15. Februar 2021

Die Rolle meines Lebens

 

Wie immer, so könnt ihr auch heute weitere Geschichten bei Regina und Lore lesen.


Reizwörter: Karneval, Clown, traurig, nachdenklich, schminken

Es ist noch früh am Morgen und ich stehe mit verstrubbelten Haaren in meinem Morgenmantel in der Küche und warte auf meine erste Tasse Kaffee.

Mein Blick fällt dabei auf meinen Spruch-Kalender. Ich nehme meine Lesebrille zur Hand, blättere den Kalender auf den neuen Tag um und bin gespannt, welcher Sinnspruch dort auf mich wartet: „Nicht immer ist alles so, wie du es gerne hättest. Du kannst jedoch entscheiden, die gegenwärtigen Umstände zu bejahen.“

Ich lege meine Brille zur Seite, nehme mir meinen Kaffee und setze mich an den Küchentisch.

Ja, es stimmt, was der Kalenderspruch sagt: es ist nicht immer alles so, wie wir es gerne hätten, aber es gilt, dies anzunehmen. Auch am heutigen Rosenmontag.

Wenn uns jemand vor ein paar Jahren prophezeit hätte, dass das traditionelle Feiern des Karnevals wegen eines Virus ausfallen wird, wir hätten ihm wohl einen Vogel gezeigt. Doch nun ist es Realität geworden. Ein kleiner unscheinbarer Virus legt die Menschheit lahm. Das macht mich durchaus nachdenklich und viele gerade heute sicher auch traurig, denn es wird keine lachenden und jubelnden Jecken geben, die mit bunt geschminkten Gesichtern durch die Straßen ziehen; keine Clowns, die das Stadtbild prägen, und falls doch, so werden sie sich hinter Masken verstecken müssen.

Aber vielleicht ist das ein allgemeines Problem der Menschheit. Wir verstecken uns alle viel zu oft hinter irgendwelchen Masken. Vielleicht haben wir den anderen auch viel zu lange schon unsere lachende Seite gezeigt, obwohl uns eigentlich zum Weinen zumute gewesen wäre.

Noch vor ein paar Monaten haben wir uns hinter den Masken versteckt, die niemand sehen konnte. Doch heute sind es echte Masken, die unseren Alltag prägen.

Sie vermitteln uns das Gefühl von Sicherheit und wir zeigen öffentlich: schaut her, ich schütze mich, aber vor allem schütze ich dich.  

Doch wenn ich ehrlich bin, mag ich keine Masken. Ich kann und will mich nicht an sie gewöhnen.

Ich möchte wieder die Menschen sehen, ihnen ins Gesicht schauen, ihre Stimmungen wahrnehmen, ihr Lächeln betrachten. Ich möchte ihre Mimik erleben und selbst frei atmen können.

Und ich möchte mein eigenes Gesicht wieder zeigen dürfen. Mein echtes, wahres – ohne Maske.

Ich nehme einen großen Schluck von meinem heißen Kaffee und denke dabei an ein Gespräch, das ich kürzlich mit meiner besten Freundin geführt habe. Darin ging es um ein anderes, durchaus spannendes Thema. Es ging darum, dass wir alle den ganzen Tag über in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen.

So sind wir manchmal Diplomaten, nämlich dann, wenn wir ruhig und sachlich versuchen, in einem Streit zu vermitteln.

Ein anderes Mal sind wir aber auch wütend und schlüpfen in die Rolle eines Cholerikers. Dann brüllen wir rum, machen anderen lautstark klar, dass wir nicht einverstanden sind mit dem, was gerade geschieht.

Es ging in unserem Gespräch darum, dass wir im Film unseres Lebens die unterschiedlichsten Rollen spielen, weil wir uns ständig an neue Situationen anpassen müssen. So manches Mal würden wir sicher gerne umschalten auf einen anderen Sender, doch so einfach ist das eben nicht.

Manchmal komme ich mir wirklich vor wie eine Schauspielerin in einem schlechten Stück und so manches Mal frage ich mich, welche dieser Rollen, die ich einnehme, spiele ich nur und welche Rolle ist meine eigene? Wer bin ich wirklich hinter all diesen Rollen und Masken? Wann bin ich wirklich Ich?

Ich glaube, dass ich in meinem Zuhause am ehesten Ich bin. Ich bin Ich, wenn ich nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen muss; wenn ich mich entspannt fühle trotz der Menschen, die sich um mich herum befinden.

Wenn ich meine Rollen, Masken und Schutzschilde fallen lassen kann, dann bin ich Ich.

Ich glaube, es ist sehr kostbar, diese Momente zu erkennen; diese stillen Augenblicke, in denen wir einfach nur Ich sein können.

Bestenfalls gibt es solche stillen Momente in unseren Partnerschaften, in unseren Familien, mit Freunden oder auf der Arbeit.

Da das Spielen von Rollen ziemlich anstrengend ist, sind solche Momente durchaus kostbar.

Doch wir spielen ja nicht alleine eine Rolle im Film unseres Lebens. Da gibt es ja viele Mitwirkende. So werden wir in eine Familie hinein geboren, in der jeder eine bestimmte Rolle hat und so lernen wir schon früh, welche Rolle wir im Familien-Film zu erfüllen haben.

Wir kommen in die Schule und nehmen einen Platz im Rollen-Gefüge der Klasse ein. Welche Rollen sind schon vergeben? Ist die Rolle der hübschen Prinzessin noch frei oder muss ich die Rebellin oder gar das hässliche Entlein sein?

Und was ist, wenn ich in die Rolle der ‚Starken‘ geschlüpft bin und mir deshalb zeitlebens nicht erlaube, mich bei einem anderen anzulehnen oder auszuheulen, weil das eben nicht zu meiner Rolle passt?

Was ist, wenn ich immer nur die Erwartungen anderer zu erfüllen versuche, wenn ich ständig versuche, mich an Situationen oder Menschen abzupassen? Das ist dann wohl das krasse Gegenteil von Ich-Sein.

Vielleicht ist es auch so, dass ich dann, wenn ich zu viele Rollen einnehme, den Bezug zu meinem wahren Ich verliere.

Aber genug mit all diesen Gedanken. Schließlich ruft ein neuer Tag.

Ich gehe ins Bad und nehme mir fest vor, darauf zu achten, dass ich so oft wie möglich ICH bin und die Rolle meines Lebens voll und ganz ausfülle.

 

© Martina Pfannenschmidt, 2021


Dies ist vorerst die letzte Geschichte, die es bei mir zu lesen gibt. Ich mache eine längere Pause. Lore und Regina werden aber weiterhin Reizwörtergeschichten schreiben. Danke für deinen Besuch.


4 Kommentare:

  1. Da hast Recht wir spielen viele Rollen im Film unseres Lebens, aber die schönste Rolle ist doch in der Famile, da wir keine Rolle spielen müssen und nur wir selbst sein können. Freue mich, wenn du wieder bei uns einsteigen kannst, pass gut auf dich auf. Herzlichst Lore

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  2. Es stimmt, liebe Martina,
    am besten ist es doch, wenn wir so sein dürfen, wie wir sind! Du hast die richtigen Worte und Gedanken dafür gefunden!
    Herzliche Grüße und bis bald!
    Regina

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  3. Eine schöne so wahre Geschichte über die Rollenspiele die wir in unserem leben spielen. Wir tragen auch immer eine unsichtbare Maske, die uns begleitet. Wir lächeln, wenn uns zum Weinen ist, eben so wie es unsere Rolle vorgibt. Es kommt auf unser gegenüber an, das wir die Maske auch fallenlassen können und unser wahres Gesicht ungeschminkt zeigen können.Ja, wer will mit einer Maske rumlaufen, die einem die Luft zum Atmen nimmt oder die Brille beschlägt, das wir nicht richtig schauen können. Das Gesicht im ganzen zeigt uns ein Bild,wie ein Gesicht im Spiegelbild, es ist nie das wahre was wir sehen, aber gefühlt sehen wir uns und die menschen gegenüber.
    Liebste Grüsse zu Dir und winke, winke!Klärchen

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  4. eine Geschichte zum Nachdenken
    aber ich würde Rollen nicht in jedem Fall als Maske bezeichnen
    eine Maske ist für mich etwas hinter dem man sich versteckt
    eine Rolle zu spielen ist für mich eher etwas aktives
    etwas in dem ich mein Selbst durchaus einbringen kann
    ich kann meine Rolle gestalten
    auch ein Gesicht ohne (Stoff)- Maske zeigt mir nicht immer die Wahrheit

    mich stört die Maske eigentlich wenig da ich sie ja nur immer wenige Minuten tragen muss.. da kommen in der ganzen Woche vielleicht ein bis zwei Stunden zusammen.

    Ich hoffe deine Pause hat keine "unangenehme" Gründe
    ich wünsche dir für die Zeit alles Gute
    und hoffe dich bald wieder zu lesen

    liebe Grüße
    Rosi

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