Paula stand vor ihrem Kleiderschrank, schnappte sich ihre
Lieblingsjeans, eine leichte Bluse und einen Pulli, den sie sich um die
Schultern legen wollte. Gegen Abend wurde es oft empfindlich kühl.
Babs, ihre beste Freundin, hatte sich telefonisch bei ihr gemeldet
und ein Treffen in ihrer Lieblingspizzeria vereinbart. Bestimmt wollte sich
Barbara wieder bei ihr ausheulen. Das
unerwartete Treffen hatte sicher mit Leo, ihrem Freund zu tun. Paula konnte
diesen Menschen nicht ausstehen. Er fühlte sich als etwas Besseres, nur weil
seine Eltern ein großes Unternehmen führten. Paula hatte von Anfang an bemerkt,
dass Leo sie als nicht standesgemäß betrachtete.
Sie war eben nicht so reich, wie er. Aber das war Babs auch nicht.
Paula hatte sich schon daran gewöhnt, dass ihre Freundin ihm
gegenüber immer Stärke demonstrierte.
Doch Babs bemerkte gar nicht, wie sehr sie sich verändert hatte. Und das sagten
alle anderen Freunde auch. Seitdem Barbara mit diesem Lackaffen zusammen war,
hatte sie all ihre Träume und Ziele über den Haufen geworfen. Paula war sich
sicher, dass Leo das als einen Triumph
für sich verbuchte. Wahrscheinlich war dieser Schnösel noch stolz darauf, dass
er einen derart großen Einfluss auf Babs nehmen konnte.
An diesem Abend würde sie ihrer Freundin ordentlich den Kopf
waschen und ihr nahe legen, sich endlich von diesem Mann zu trennen. Das würde
sicher nicht leicht werden, Babs davon zu überzeugen, dass dieser Schritt
überfällig war. Doch für jeden Menschen standen manchmal schwerwiegende
Entscheidungen an. Nicht umsonst heißt es: Das Leben ist kein Ponyhof. Davon konnte Paula ein Lied
singen – mit mehreren Strophen sogar. Außerdem war ihr klar, dass es keine
wahre Liebe sein konnte, wenn sich eine Seite so sehr verbiegen musste.
Als Paula später in der Pizzeria saß und auf Barbara wartete,
hatte sie sich all ihre Worte schon zurecht gelegt. Sie musste es einfach
schaffen, ihrer Freundin den Spiegel vorzuhalten. Es wurde Zeit, dass Babs ihr
Leben wieder selbst in die Hand nahm und nicht ein fremdbestimmtes Leben
führte. Es musste ihr einfach gelingen.
Als sich die Tür öffnete, war Paula überrascht. Babs betrat den
Raum in Jeans, Pulli und Turnschuhen und nicht wie sonst in einem Hosenanzug
mit High Heels an den Füßen. Paula konnte sich den ersten Hieb nicht
verkneifen: „Gut siehst du aus, meine Liebe! Ich staune, dass Leo dir erlaubt
hat, so das Haus zu verlassen.“
„Ich habe ihn gar nicht dazu befragt“, antwortete Babs, während
sie sich zur Begrüßung umarmten.
„Na, das ist ja schon mal ein guter Anfang“, meinte Paula, holte
tief Luft und spulte alles ab, was sich in ihrem Kopf angesammelt hatte. Durch
nichts und niemanden würde sie sich jetzt noch stoppen lassen: „Hör zu, Babs,
du weißt, dass ich Leo nicht leiden kann. Aber noch weniger kann ich es leiden,
wie er mit dir umgeht. Du lebst doch gar nicht mehr dein Leben, sondern seins.
Wo ist deine Freude am Leben geblieben? Du hast einfach aufgegeben, dein Leben
so zu gestalten, wie du es dir aus tiefstem Herzen wünscht. Ich kenne dich,
Babs. Du kannst mir nichts vormachen. Du bist nicht glücklich. Aber weißt du,
du hast es selbst in der Hand, ein glückliches Leben zu führen. Wir selbst müssen
uns Ziele setzen und Schritte in diese Richtung gehen. Ich will auch nicht Leo
die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Schließlich ist jeder selbst für sein
Leben verantwortlich. Doch wenn du etwas in deinem Leben verändern willst,
darfst du nicht sagen: Eines Tages oder ich sollte! Nein, Babs, du musst dich
sofort und eindeutig entscheiden. Trenne dich von Leo so schnell wie möglich. Es
liegt mir wirklich am Herzen, dass es dir gut geht. Du kannst sicher sein, dass
ich immer an deiner Seite stehen werde. Hörst du?! Ich werde deine Träume mit
dir träumen. So, wie früher. Du musst dich nur wieder daran erinnern, wer du
eigentlich bist und was deine Träume und Visionen sind. Sie haben nichts mit
dem zu tun, was du heute lebst. Was ist dir wichtig im Leben? Was bringt dir
wahre Freude? Es kann doch nicht das Geld sein, das Materielle, das Leo dir
bietet. So bist du doch gar nicht. Er schränkt dich in deiner Freiheit ein, so
dass du dich gar nicht entfalten kannst. Du lebst ein Leben wie in einem
goldenen Käfig. Willst du das wirklich? Mensch, Babs, sag doch auch mal was.“
Babs saß ihr gegenüber und lachte laut los. „Was war das denn
gerade? Hast du den Text auswendig gelernt? Meine Güte, ich kenne dich aber
auch nicht wieder. Ich weiß, dass du Leo nicht leiden kannst. Daraus hast du
nie einen Hehl gemacht. Aber meine Entscheidungen, die treffe ich immer noch
selbst.“
„Tust du eben nicht“, fiel Paula Babs ins Wort.
„Was darf ich den Damen bringen?“, erkundigte sich Giovanni, der
Kellner, und stellte gleich darauf fest: „Ihr wart aber lange nicht gemeinsam
hier.“
„Siehst du“, triumphierte Paula, „sogar Giovanni hat es schon
bemerkt.“
„Na, na, was soll das denn heißen, sogar Giovanni“, erwiderte dieser
und tat ein wenig beleidigt. Aber das war er gar nicht. „Wie immer?“,
erkundigte er sich. „Zweimal Spaghetti Carbonara und für beide Damen einen Chianti?“
„Ja gerne“, antwortete Paula, während Babs zur gleichen Zeit: „Wir
warten noch einen kleinen Moment“, sagte.
„Wie, wir warten noch, worauf denn? Doch nicht etwa auf Leo? Sag,
dass das nicht wahr ist! Dieser Kasper kommt nicht auch hierher oder?!“
Noch bevor Babs darauf antworten konnte, schnappte Paula ihre
Tasche und erhob sich. Sie wollte das Lokal umgehend verlassen. Es hatte
einfach keinen Zweck. Babs würde nie merken, dass der Typ nicht zu ihr passt.
Im selben Moment betrat ein verdammt gut aussehender Italiener das
Lokal und kam direkt auf ihren Tisch zu.
„Weißt du, Paula“, gab Barbara schadenfroh von sich, „es ist
wirklich nett von dir, dass du dich so sehr um mich sorgst. Doch auch du musst
mir nicht sagen, wie ich mein Leben führen soll. Das weiß ich nämlich selbst.
Eigentlich wollte ich dir die ganze Zeit schon erzählen, dass ich mich von Leo
getrennt habe und dieser gut aussehende junge Mann hier neben mir ist der Grund
dafür. Darf ich dir Francesco vorstellen.“
Verdutzt plumpste Paula zurück auf ihren Stuhl.
© Martina Pfannenschmidt, 2016