Freitag, 10. November 2017

Zweimal Spaghetti Carbonara?

Paula stand vor ihrem Kleiderschrank, schnappte sich ihre Lieblingsjeans, eine leichte Bluse und einen Pulli, den sie sich um die Schultern legen wollte. Gegen Abend wurde es oft empfindlich kühl.
Babs, ihre beste Freundin, hatte sich telefonisch bei ihr gemeldet und ein Treffen in ihrer Lieblingspizzeria vereinbart. Bestimmt wollte sich Barbara wieder bei ihr ausheulen. Das unerwartete Treffen hatte sicher mit Leo, ihrem Freund zu tun. Paula konnte diesen Menschen nicht ausstehen. Er fühlte sich als etwas Besseres, nur weil seine Eltern ein großes Unternehmen führten. Paula hatte von Anfang an bemerkt, dass Leo sie als nicht standesgemäß betrachtete. Sie war eben nicht so reich, wie er. Aber das war Babs auch nicht.
Paula hatte sich schon daran gewöhnt, dass ihre Freundin ihm gegenüber immer Stärke demonstrierte. Doch Babs bemerkte gar nicht, wie sehr sie sich verändert hatte. Und das sagten alle anderen Freunde auch. Seitdem Barbara mit diesem Lackaffen zusammen war, hatte sie all ihre Träume und Ziele über den Haufen geworfen. Paula war sich sicher, dass Leo das als einen Triumph für sich verbuchte. Wahrscheinlich war dieser Schnösel noch stolz darauf, dass er einen derart großen Einfluss auf Babs nehmen konnte.
An diesem Abend würde sie ihrer Freundin ordentlich den Kopf waschen und ihr nahe legen, sich endlich von diesem Mann zu trennen. Das würde sicher nicht leicht werden, Babs davon zu überzeugen, dass dieser Schritt überfällig war. Doch für jeden Menschen standen manchmal schwerwiegende Entscheidungen an. Nicht umsonst heißt es: Das Leben ist kein Ponyhof. Davon konnte Paula ein Lied singen – mit mehreren Strophen sogar. Außerdem war ihr klar, dass es keine wahre Liebe sein konnte, wenn sich eine Seite so sehr verbiegen musste.
Als Paula später in der Pizzeria saß und auf Barbara wartete, hatte sie sich all ihre Worte schon zurecht gelegt. Sie musste es einfach schaffen, ihrer Freundin den Spiegel vorzuhalten. Es wurde Zeit, dass Babs ihr Leben wieder selbst in die Hand nahm und nicht ein fremdbestimmtes Leben führte. Es musste ihr einfach gelingen.
Als sich die Tür öffnete, war Paula überrascht. Babs betrat den Raum in Jeans, Pulli und Turnschuhen und nicht wie sonst in einem Hosenanzug mit High Heels an den Füßen. Paula konnte sich den ersten Hieb nicht verkneifen: „Gut siehst du aus, meine Liebe! Ich staune, dass Leo dir erlaubt hat, so das Haus zu verlassen.“
„Ich habe ihn gar nicht dazu befragt“, antwortete Babs, während sie sich zur Begrüßung umarmten.
„Na, das ist ja schon mal ein guter Anfang“, meinte Paula, holte tief Luft und spulte alles ab, was sich in ihrem Kopf angesammelt hatte. Durch nichts und niemanden würde sie sich jetzt noch stoppen lassen: „Hör zu, Babs, du weißt, dass ich Leo nicht leiden kann. Aber noch weniger kann ich es leiden, wie er mit dir umgeht. Du lebst doch gar nicht mehr dein Leben, sondern seins. Wo ist deine Freude am Leben geblieben? Du hast einfach aufgegeben, dein Leben so zu gestalten, wie du es dir aus tiefstem Herzen wünscht. Ich kenne dich, Babs. Du kannst mir nichts vormachen. Du bist nicht glücklich. Aber weißt du, du hast es selbst in der Hand, ein glückliches Leben zu führen. Wir selbst müssen uns Ziele setzen und Schritte in diese Richtung gehen. Ich will auch nicht Leo die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Schließlich ist jeder selbst für sein Leben verantwortlich. Doch wenn du etwas in deinem Leben verändern willst, darfst du nicht sagen: Eines Tages oder ich sollte! Nein, Babs, du musst dich sofort und eindeutig entscheiden. Trenne dich von Leo so schnell wie möglich. Es liegt mir wirklich am Herzen, dass es dir gut geht. Du kannst sicher sein, dass ich immer an deiner Seite stehen werde. Hörst du?! Ich werde deine Träume mit dir träumen. So, wie früher. Du musst dich nur wieder daran erinnern, wer du eigentlich bist und was deine Träume und Visionen sind. Sie haben nichts mit dem zu tun, was du heute lebst. Was ist dir wichtig im Leben? Was bringt dir wahre Freude? Es kann doch nicht das Geld sein, das Materielle, das Leo dir bietet. So bist du doch gar nicht. Er schränkt dich in deiner Freiheit ein, so dass du dich gar nicht entfalten kannst. Du lebst ein Leben wie in einem goldenen Käfig. Willst du das wirklich? Mensch, Babs, sag doch auch mal was.“
Babs saß ihr gegenüber und lachte laut los. „Was war das denn gerade? Hast du den Text auswendig gelernt? Meine Güte, ich kenne dich aber auch nicht wieder. Ich weiß, dass du Leo nicht leiden kannst. Daraus hast du nie einen Hehl gemacht. Aber meine Entscheidungen, die treffe ich immer noch selbst.“
„Tust du eben nicht“, fiel Paula Babs ins Wort.
„Was darf ich den Damen bringen?“, erkundigte sich Giovanni, der Kellner, und stellte gleich darauf fest: „Ihr wart aber lange nicht gemeinsam hier.“
„Siehst du“, triumphierte Paula, „sogar Giovanni hat es schon bemerkt.“
„Na, na, was soll das denn heißen, sogar Giovanni“, erwiderte dieser und tat ein wenig beleidigt. Aber das war er gar nicht. „Wie immer?“, erkundigte er sich. „Zweimal Spaghetti Carbonara und für beide Damen einen Chianti?“
„Ja gerne“, antwortete Paula, während Babs zur gleichen Zeit: „Wir warten noch einen kleinen Moment“, sagte.
„Wie, wir warten noch, worauf denn? Doch nicht etwa auf Leo? Sag, dass das nicht wahr ist! Dieser Kasper kommt nicht auch hierher oder?!“
Noch bevor Babs darauf antworten konnte, schnappte Paula ihre Tasche und erhob sich. Sie wollte das Lokal umgehend verlassen. Es hatte einfach keinen Zweck. Babs würde nie merken, dass der Typ nicht zu ihr passt.
Im selben Moment betrat ein verdammt gut aussehender Italiener das Lokal und kam direkt auf ihren Tisch zu.
„Weißt du, Paula“, gab Barbara schadenfroh von sich, „es ist wirklich nett von dir, dass du dich so sehr um mich sorgst. Doch auch du musst mir nicht sagen, wie ich mein Leben führen soll. Das weiß ich nämlich selbst. Eigentlich wollte ich dir die ganze Zeit schon erzählen, dass ich mich von Leo getrennt habe und dieser gut aussehende junge Mann hier neben mir ist der Grund dafür. Darf ich dir Francesco vorstellen.“
Verdutzt plumpste Paula zurück auf ihren Stuhl.


© Martina Pfannenschmidt, 2016