Claudia
riss ein weiteres Blättchen von ihrem neuen Tageskalender. Jetzt zeigte sich
der 6. Januar – Heilige Drei Könige –
ihr Geburtstag. Zum dritten Mal war es eine Schnapszahl für sie. Doch ihr stand
nicht der Sinn danach, ausgiebig zu feiern, zumal sie ihre Familie zu
Weihnachten gesehen und mit ihren Freunden Silvester gefeiert hatte.
Dann
las sie, was auf dem Blättchen stand: ‚Das neue Jahr ist gerade ein paar Tage
alt. Haben Sie Ihre guten Vorsätze schon über Bord geworfen?’
Ertappt!
Natürlich hatte sie dies getan. Sie wusste gar nicht mehr, wie oft sie sich schon
vorgenommen hatte, mit dem Rauchen aufzuhören, doch es wollte ihr einfach nicht
gelingen.
Doch
schon der gute alte Sokrates stellte sich die Frage, warum die Menschen das
Gute erkennen und trotzdem das Schlechte tun. Leider konnte Claudia ihm dies auch
nicht beantworten. Es gab aber ein Wort dafür: Willensschwäche! Ja, sie
erkannte es: Sie war willensschwach. Da nützte es auch nichts, dass auf der
Zigarettenpackung stand: Rauchen kann tödlich sein! Kann ja, muss aber nicht –
und außerdem war es doch so gesellig.
Claudia
sah sich in ihrem Wohnzimmer um. Sie hatte gestern Abend noch die gesamte
weihnachtliche Dekoration weggeräumt und die Wohnung geputzt. Hoffentlich machten sich die Heiligen Drei Könige nicht
mehr auf den Weg zu ihr. Eine Krippe würden sie nämlich nicht mehr finden. So
war es in jedem Jahr. Sobald das neue Jahr angeklopft hatte, schmiss sie den
Tannenbaum und alles drum herum aus der Wohnung.
Als
Claudia einige Zeit später aus dem Bad kam, klingelte das Telefon. Beim Blick auf die Uhr war ihr klar, dass es
sich bei dem Anrufer nur um ihre Mutter handeln konnte, was sich dann auch
bestätigte. Sie nahm die Glückwünsche entgegen, musste sich dann aber schnell verabschieden,
um nicht zu spät an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen.
Als
sie die Tür zu ihrem Büro öffnete, erschallte sogleich ein fröhliches „Happy
birthday, dear Claudia, happy birthday, to you!“ Sie freute sich von Herzen über
das Ständchen und die Gratulation ihrer Kollegen. Doch leider blieb auch hier
keine Zeit, um mit ihnen zu plaudern oder gar zu feiern, denn gerade heute
stand eine wichtige Besprechung auf dem Plan. Sie musste ihrem Chef zur Verfügung
stehen und ihm alle Anrufer oder Besucher vom Hals halten.
Vor
einem Jahr war Stefan Korn neu ins Unternehmen eingestiegen und sie wurde seine
Sekretärin. Das war zunächst nicht einfach für Claudia, da sie zehn Jahre lang
die Sekretärin des Seniorchefs gewesen war. Er war ein gutmütiger Chef, fast
väterlich. Als er aus dem Unternehmen schied, wurde sie Stefan als Sekretärin
zugeteilt. Diese Umstellung war zunächst schwierig für Claudia, doch inzwischen
arbeiteten sie gut zusammen.
Gerade
als ihre Freundin am Handy war, um ihr zu gratulieren, betrat ihr Chef mit
einer Torte in den Händen das Büro. Claudia war so überrascht, dass sie ihr
Telefonat beendete, ohne sich von ihrer Freundin verabschiedet zu haben.
„Herzlichen
Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag“, begann Stefan seine Gratulation, „ich habe
mir erlaubt, für sie eine Geburtstagstorte
zu besorgen. Ich hoffe, sie freuen sich darüber und uns bleibt später noch ein
bisschen Zeit, um sie zusammen mit den anderen anzuschneiden und zu verkosten.“
Simone,
ihre Kollegin, die ihr gegenüber saß, warf den beiden einen skeptischen Blick
zu. Was hatte das denn zu bedeuten? Sie hatte zu ihrem Geburtstag eine
Schachtel Pralinen geschenkt bekommen. Warum bekam ihre Kollegin eine Torte?
Claudia
bedankte sich und nahm ihrem Chef die Schokoladentorte ab. „Ich hoffe, sie
trifft ihren Geschmack“, erkundigte sich Stefan.
„Ganz
sicher, ich liebe Schokolade. Vielen Dank.“
Dann
brachte sie die Leckerei in die kleine Küche, um sie in den Kühlschrank zu
stellen. Ihre Kollegin verkniff sich jeden Kommentar und auch für Claudia blieb
keine Zeit, sich über das Geschenk zu wundern, denn nun musste sie sich voll
auf ihren Job konzentrieren. Es wurde ein anstrengender Tag und die
Verhandlungen zogen sich länger hin, als gedacht. Nach und nach verließen ihre
Kollegen das Büro, bis sie nur noch ganz alleine zurück blieb. „Toller
Geburtstag“, dachte sie. „Er wird mir bestimmt in Erinnerung bleiben. Andere
haben mit 33 eine eigene kleine Familie, die auf sie wartet und mit der sie
ihren Geburtstag feiern und ich sitze hier allein im Büro herum. Super!“
Endlich
tat sich etwas im Büro ihres Chefs. Die Sitzung schien beendet. Kurz darauf öffnete
sich die Tür und ein gut gelaunter Stefan Korn verabschiedete seine Gäste.
„Es
tut mir leid“, sagte er, an Claudia gewandt, „dass ich sie ausgerechnet an
ihrem Geburtstag so lange in Beschlag genommen habe. Man wartet doch sicher auf
Sie, um zu feiern.“
„Nein“,
antwortete sie wahrheitsgemäß, „es wartet niemand auf mich.“
„Aber
sie haben hoffentlich die Torte angeschnitten?“, erkundigte er sich.
„Ach
Gott, die Torte!“ Claudia hatte gar nicht mehr daran gedacht.
„Was
meinen Sie“, erkundigte sich Stefan, „wollen wir ein Stückchen probieren?“
Claudia
eilte in die Küche, um die Torte aus dem Kühlschrank zu holen. Dabei fiel ihr
Blick auf eine Flasche Sekt, die dort gekühlt stand. Ob sie die öffnen sollte?
Stefan war ihr gefolgt und erahnte anscheinend ihre Gedanken. „Klar, die
Flasche, die köpfen wir jetzt und stoßen gemeinsam auf das gute Geschäft und
ihren Geburtstag an.“
Die
Torte war wirklich lecker und der Sekt tat seine Wirkung, denn viel war es
nicht, was Claudia an dem Tag zu sich genommen hatte. Dann schaute sie zur Uhr.
O je, jetzt musste sie sich aber beeilen, um ihren letzten Bus zu erwischen.
Schnell verabschiedete sie sich und lief aus dem Büro. Als sie an der Rezeption
vorbei huschte, rief man ihr nach: „Frau Pfeffer, draußen hat ein Eisregen eingesetzt. Es fahren weder
Busse noch Taxen und wenn sie sich nicht die Haxen brechen wollen, dann bleiben
sie lieber hier. Vielleicht entspannt sich die Situation ja bald.“
Das
durfte doch nicht wahr sein. Sie schlurfte mit hängendem Kopf zurück ins Büro.
Stefan hatte inzwischen ebenfalls von dem Malheur draußen erfahren. Ihnen blieb
nichts anderes übrig, als die Nacht im Büro zu verbringen.
Ein
Jahr später: Claudia stand am Wohnzimmerfenster und schaute hinaus. Es begann
zu regnen. Stefan betrat den Raum, stellte sich hinter sie und fragte: „Na,
Frau Pfeffer-Korn, bereuen Sie, vor einem Jahr willensschwach gewesen zu sein?“
Claudia
lächelte, hauchte einen Kuss auf seinen Mund und nahm ihm das kleine Bündel aus
seinen Armen.
©
Martina Pfannenschmidt, 2015