Benjamin
sah Mira an, doch es war so, als schaue er durch sie hindurch. ‚Was macht sie
hier auf dem Wochenmarkt?’, ging ihm dabei durch den Kopf. Er wusste von ihr,
dass sie Erzieherin war. Jedenfalls hatte sie das gesagt, als ihre Brille wieder
einmal verbogen war. Egal! Das tat jetzt nichts zur Sache. Ihm war völlig egal,
welchen Beruf Mira Bellenbaum ausübte. Er war in seiner Männlichkeit gekränkt. Diese
Emotion nahm ihn völlig gefangen. Caroline Fröhlich hatte ihn ausgelacht und
damit tief verletzt. Er hätte jetzt dringend jemanden gebraucht, dem er sich
anvertrauen konnte und der ihm Trost zusprach. Doch das war ganz sicher nicht
Frau Bellenbaum.
Nachdem
all diese Gedanken wie Blitze durch seinen Kopf geschossen waren, fasste er
sich: „Ach, Frau Bellenbaum. Das ist ja nett, dass ich sie hier treffe. Leider
können sie nichts für mich tun. Ich reagiere nämlich allergisch auf Erdbeeren.“
Schon drehte er sich um und verließ umgehend und grußlos den Stand.
Nun
war es Mira, die mit offenem Mund da stand. Tränen sammelten sich in ihren
Augen, während sie hinter ihm her sah.
„Was
ist denn mit dir los?“, erkundigte sich ihre beste Freundin Anne. Ihr und ihrem
Mann gehörte der Biohof für den Mira heute an diesem Stand die Erdbeeren
verkaufte. Sie war ausnahmsweise für eine erkrankte Mitarbeiterin
eingesprungen.
„Das
war ER!“, erwiderte Mira und klang dabei ziemlich deprimiert.
„Wer
war was?“
„Na,
du weißt schon, der Mann, der hier eben stand. Das war er - Benjamin, der
Optiker.“
„Was?
Und den lässt du einfach so von dannen ziehen? Du hättest ihm ein Schälchen
Erdbeeren schenken können als Dankeschön, weil er dich immer so nett bedient.
Oder du hättest ihn auf ein Eis eingeladen können nach Feierabend. Mensch,
Mira, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Jetzt ist er weg, oder?“
Anne
machte einen langen Hals, doch sie konnte Benjamin nirgendwo erspähen. Mira
ließ den Kopf hängen. „Weißt du was“, meinte sie an ihre Freundin gerichtet,
„ich werde mir einen anderen Optiker suchen, wenn ich wirklich mal Probleme mit
meiner Brille habe. Das mit mir und DEM, dass wird nie was. Ich glaube, es ist
besser, wenn ich ihn mir aus dem Kopf schlage. Er hat kein Interesse an mir.
Das merke ich doch. Wahrscheinlich hat er sowieso eine Freundin.“
„Glaub
mir, Männer in seinem Alter, die am Samstagmorgen alleine auf dem Wochenmarkt
einkaufen, sind Singles.“
Benjamin
ging schnurstracks nach Hause. Das heißt, er hatte diesen Plan, doch das Leben
hatte einen anderen. Es war nicht leicht für das Schicksal, diese beiden
Menschen zusammen zu führen. Doch irgendwie musste es klappen. Diese beiden
Menschen gehörten zusammen – einer von beiden wusste es nur noch nicht. Deshalb
musste das Schicksal jetzt wohl zu drastischeren Mitteln greifen. Wie sagen die
Menschen so klug? Wer nicht hören will, muss fühlen!
Doch
Benjamin hatte Glück im Unglück, denn der Zufall hörte von dieser Misere,
schaltete sich ein und sprach auf das Schicksal ein. „Liebes Schicksal, lass
mich noch einmal versuchen, die beiden
zusammen zu bringen. Wenn es diesmal wieder nicht klappt, werde ich mich
zurückziehen und du kannst eingreifen.“ Das Schicksal war einverstanden und zog
sich noch einmal zurück.
Benjamin
ging nicht zu seinem Auto, er rannte.
Immer wieder kam ihm dabei das helle Lachen von Caroline in den Sinn. Da hatte
er sich die ganze Zeit eingebildet, sie sei die tollste Frau auf Gottes
Erdboden und nun stellte sich heraus, dass sie eingebildet und eine ziemlich
dumme Zicke war. Das musste er erst einmal verdauen.
Benjamin
verstaute seine Einkäufe im Auto und blieb anschließend noch eine Weile hinter
dem Steuerrad sitzen. Was sollte er jetzt tun? Nach Hause fahren, seinen besten
Freund anrufen oder … Das schien ihm die beste Idee zu sein. Er fuhr zu einem
kleinen, abseits gelegenen Weiher. Als Kind war er manchmal mit seinem Vater
hierher gefahren. Heute dachte er daran, dass sein Vater diesen Platz
aufgesucht hatte, wenn es galt, Entscheidungen zu treffen. Vielleicht würde ihm
ja auch einiges klarer erscheinen, wenn er dort in der Stille in sich ging.
Anne
konnte es nicht mehr mit ansehen, wie sehr Mira litt. „Weißt du was“, sagte sie
deshalb, „mach für heute Schluss und gönn dir etwas Gutes. Kauf dir ein neues
Kleid, geh ein Eis essen oder in die Sauna. Egal. Unternimm irgendwas, damit es
dir wieder besser geht.“ Mira nahm das Angebot gerne an.
Eine
kurze Zeit später saß sie in ihrem Auto und fuhr einfach ohne Ziel und ohne
Plan los. Abrupt trat sie auf die Bremse und steuerte einen kleinen Parkplatz
an. Dort an dem kleinen Weiher würde sie spazieren gehen und überlegen, wie es
in ihrem Leben weitergehen sollte. Wieder dachte sie an Benjamin. Es war schön
zu lieben, doch nicht, wenn diese Liebe nicht erwidert wurde. Das war einfach
schrecklich und schmerzte im tiefsten Inneren.
Mira
war nicht besonders gläubig und deshalb wusste sie auch nicht, an wen sie sich
in ihrer Not wenden sollte, als sie auf einer Bank saß und dem Zirpen der
Grillen lauschte. Sie schaute hoch zum Himmel. „He, ihr da oben. Gibt es
jemanden, der für mich zuständig ist? Ich hab da nämlich ein Problem. Also,
wenn es so ist, dass Benjamin nicht für mich der passende Deckel ist, schickt
mir doch bitte den, der passt und wenn es geht, recht schnell.“
Benjamin
dachte während des ausgiebigen Spazierganges über sein Leben nach. Er war jetzt
in einem Alter, in dem andere eine Familie planten. Er hatte nicht einmal die
passende Partnerin und seit heute wusste er, dass es Caroline Fröhlich nicht
war, mit der er eine Beziehung führen wollte. Er hatte sich wohl in ihr Äußeres
verliebt. Ab jetzt wollte er mehr auf die inneren Werte achten.
Benjamin
näherte sich einer Bank. Obwohl dort schon jemand saß, schlug er die Richtung
dorthin ein. Als er die Person erkannte, blieb er abrupt stehen: Mira
Bellenbaum! Welch unfassbarer Zufall!
Hinter
einer dicken Eiche in der Nähe der Bank verweilte schmunzelnd der Zufall. Als Benjamin
sich setzte, drehte sich der Zufall um und ging – seine Mission war beendet.
©
Martina Pfannenschmidt, 2016