Graufellchen
freute sich, als er die Haustür ins Schloss fallen hörte. Das war das Zeichen
dafür, dass seine Lieblingsmenschen von einem ausgiebigen Spaziergang zurückkamen.
Er musste sich eingestehen, dass sie ihm schon ein bisschen gefehlt hatten. Es
war immer so still, wenn sie nicht da waren.
„Brrrr“,
hörte er aus dem Flurbereich, „der Wind ist wirklich schneidend kalt, aber die
Luft herrlich und der Himmel so wunderbar blau. Ach, wie habe ich das
vermisst.“
„Ich
auch, meine Liebe“, erwiderte Karl, „aber jetzt müssen wir uns zuerst einmal
aufwärmen.“
„Ich
werde uns einen Tee kochen. Der wird uns gut tun und wärmen.“
Als
die beiden eine Weile später in ihren gemütlichen Sesseln saßen und ihren heißen
Tee tranken, sagte Gerda: „Ist es nicht herrlich, dass man trotz der Kälte
schon den nahenden Frühling erahnen kann. Ich freue mich so sehr auf die ersten
Blumen und die Farbkleckse, die es dann wieder allerorten zu sehen gibt.“
„Geht
mir wie dir, Gerda. Alle Jahreszeiten haben etwas Schönes, doch das Frühjahr mag
ich am meisten.“
„Erstaunlich
finde ich, dass sich die ersten Kraniche schon wieder auf den Weg zurück zu uns
in den Norden machen. Es war so schön, ihre Rufe zu hören.“
Kraniche?
Graufellchen wurde ganz kribbelig. War das Frühjahr so fassbar nahe? Bei dem
Gedanken befiel ihn Freude und Traurigkeit zugleich. Wie schön würde es für ihn
sein, wieder draußen in der Natur zu sein und wie traurig andererseits, weil er
von den beiden Menschen Abschied nehmen musste.
„Gewiss
wird uns unser kleines Mäuschen bald verlassen“, hörte er Gerda sagen. „Es will
bestimmt Hochzeit feiern und eine Familie gründen.“
Graufellchen
war baff! Konnte Gerda Gedanken lesen, oder woher wusste sie sonst von seinen
Plänen?
„Weißt
du Karl, ich wünsche allen Menschen und auch unserem Mäuschen ein glückliches
Händchen bei der Partnerwahl. Es ist so wichtig, den passenden Partner an
seiner Seite zu haben.“
„Da
empfinde ich wie du, Gerda! Es ist das größte Glück auf Erden.“
Gerda
nickte und meinte: „Es ist so eine Sache mit dem Glück. Jeder empfindet da
anders. Aber wenn wir unser Glück bereits in kleinen alltäglichen Dingen und in
den Menschen finden und sehen, ist es einfacher, ein glückliches Leben zu
führen.“
„Für
mich ist das größte Glück, wenn ich morgens erwache und du neben mir liegst.“
„Ach
Karl“, entgegnete Gerda gerührt, „womit habe ich dich bloß verdient.“
Nicht
nur Gerda wurde ganz warm ums Herz, sondern auch dem kleinen grauen Mäuschen.
Es wollte sich auch eine Frau suchen, neben der es morgens gerne und glücklich
erwachte.
„Weißt
du, Gerda, ich denke einfach, dass es ganz wichtig ist, dass man sich in seinem
häuslichen Umfeld wohl und geborgen fühlt. In der Welt ist soviel los, die Erde
ist so wund und das, obwohl es so viele Menschen gibt, die ihr Herz am rechten
Fleck haben.“
„Dennoch
scheint die Welt aus den Fugen zu geraten.“
„Das
Schlimmste sind die kriegerischen Auseinandersetzungen“, meinte Karl. „Manche
Menschen denken einfach, ihnen gehöre ein bestimmter Teil unserer Erde und
kämpfen darum.“
Gerda
erwiderte sarkastisch: „Eines Tages kämpfen sie noch um das letzte bisschen
Wasser oder die letzte gesunde Luft.“
„Das
wollen wir bei Gott nicht hoffen. Irgendwann müssen die Menschen doch dazu
lernen. Denkst du nicht?“
„O
Karl, darauf hoffe ich sehr, doch solange den meisten Menschen Geld wichtiger
ist als die Umwelt, unser Wasser, die Luft und alle Lebewesen, wird wohl noch
viel Wasser den Rhein herunter fließen, bis es soweit ist.“
„Wir
treten so vieles mit Füßen. Auch Werte wie Güte, Mitgefühl und Nachsicht.
Manchmal habe ich den Eindruck, das Egoismus und Härte als Stärke verstanden
werden und alles andere als Schwäche. Und wer möchte schon gerne als schwach
angesehen werden.“
„Weißt
du Karl, ich frage mich immer, wo der Fehler liegt. Warum herrscht soviel
Gewalt und warum behandeln wir unsere Natur so schlecht? Warum töten wir jeden Tag
Millionen von Tieren, um Massen an Fleisch zu haben, die uns vielleicht sogar
krank machen?“
„Da
wird man wirklich nachdenklich, Gerda. Wir können nur hoffen, dass weise
Menschen Änderungen herbeiführen.“
„Das
ist so eine Sache mit der Weisheit“, entgegnete seine Frau.
Nach
einer Weile des Schweigens und Nachdenkens erwiderte Karl: „Wenn wir davon
ausgehen, dass alles einen Sinn hat, dann ist es wohl so, dass wir Menschen schlimme
Erfahrungen brauchen, um weiser zu werden.“
„Ja und leider lernen die Jüngeren nicht von den
Älteren, weil jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss. So manches Kind
glaubt halt erst, dass man sich an einer heißen Herdplatte verbrennt, wenn es
diese Erfahrung selbst gemacht hat. Das heißt doch, dass Kinder nicht automatisch
durch gewonnene Erfahrungen älterer Menschen lernen.“
„Genau so ist es, Gerda. Außerdem macht ja nicht
nur jeder Mensch seine Erfahrungen, sondern auch jede Generation. Da nützt es
wenig, wenn die ältere Generation der jüngeren Ratschläge gibt. Irgendwie
scheint dieses System niemals ein Ende zu finden.“
„Dabei könnten wir doch alle aus unserer Geschichte
lernen, nicht wahr?“
„Könnten wir, aber ist es nicht so, dass sich
eigentlich gar nichts wiederholt, weil sich sozusagen die Rahmenbedingungen
ständig verändern?“
„Ach
Karl, warum können wir Menschen nicht begreifen, dass uns diese Welt nicht
gehört? Warum kämpfen wir um ein Stück Land? Das ist doch Wahnsinn. Niemand
kann doch etwas mitnehmen, wenn er eines Tages von hier geht. Wird das alles denn niemals ein Ende haben?“
©
Martina Pfannenschmidt, 2018