Graufellchen
hatte so einiges gelernt, seit er bei Karl und Gerda Unterschlupf gefunden
hatte. So wusste er zum Beispiel, dass es dem Wetter möglich ist, Kapriolen zu
schlagen. Karl hatte das neulich so gesagt.
Und
noch etwas hatte er gelernt: Nachrichten mussten sehr wichtig sein. Zumindest
schauten Karl und Gerda sie jeden Tag. Inzwischen war sogar das Mäuschen bestens
informiert. Schließlich schaute es allabendlich gemeinsam mit seinen
Lieblingsmenschen die Nachrichten im Fernsehen. Und so wusste Graufellchen,
dass kürzlich ein verheerender Sturm über Deutschland hinweg gefegt war, dem
die Menschen sogar einen Namen gegeben hatten. Friederike! Eigentlich ein
schöner weiblicher Vorname, hinter dem man keinen Orkan vermutet.
Ja
und nun schlug das Wetter weitere Kapriolen, weil der Januar nämlich
frühlingshafte Temperaturen mit sich brachte, was nicht nur einigen Menschen,
sondern auch den Tieren zu schaffen machte. Aber Graufellchen wusste genau,
dass der Winter noch nicht vorüber war. Das spürte er instinktiv. Außerdem
fühlte er sich so wohl bei den beiden Menschen, dass er noch gar nicht auf das
Frühjahr hoffte, denn das würde seinen Auszug mit sich bringen.
Und
so nahm Graufellchen seinen gewohnten Platz ein, um ja nichts von den Nachrichten
zu verpassen und auch nichts von dem anschließenden Gespräch, das Gerda sofort
begann, nachdem sie durch das Betätigen des Aus-Knopfes das Fernsehprogramm für
beendet erklärt hatte.
„Weißt
du Karl“, sagte sie, „ich frage mich manchmal, ob es wirklich sinnvoll ist,
sich ständig die Nachrichten aus aller Welt anzusehen. Das meiste davon ist
doch für mich persönlich irrelevant.“
„Manchmal
denke ich das auch, Gerda. Auf der anderen Seite: Dürfen wir wirklich die Augen
verschließen vor all dem Geschehen in der Welt?“
„Warum
eigentlich nicht?“, erwiderte Gerda und es klang ein bisschen provokant.
„Vielleicht ist eine im Hier und Jetzt mit meiner Familie verbrachte Zeit viel besser
investiert?“
Weil
Karl schwieg führte Gerda weiter aus: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich
all die vielen Nachrichten nicht nur passiv machen, sondern ich ihnen gegenüber
abstumpfe.“
Karl
stimmte zu: „Das geht mir genau so, Gerda. Du musst dabei eines bedenken: Im
Gegensatz zu früher hören und lesen wir viel mehr von all den weltweiten
Ereignissen. Und genau an denen können wir persönlich nichts ändern. Es steht einfach
nicht in unserer Macht, Dinge, die in Asien oder den Vereinigten Staaten
geschehen, zu beeinflussen. Da sind uns die Hände gebunden. Und genau das ist
es, was uns passiv macht und den Nachrichten gegenüber abstumpfen lässt.“
„Du
hast gewiss recht mit dem, was du sagst, Karl. Ich glaube sogar, dass die
Nachrichten es vermögen, Angst zu schüren.“
„Viele
Nachrichten wiederholen sich ja auch ständig“, erwiderte Karl, „und meistens
wird uns ein negatives Bild von der Welt gezeigt, was natürlich dazu beiträgt, Angst
zu schüren.“
„Und
nicht nur das. Wenn du so willst, ist eine Meldung ja nicht mehr, als der winzige
Funken einer großen Flamme. Die wirklichen Zusammenhänge bleiben für uns doch meistens
im Verborgenen.“
„Da
ist was dran, Gerda, und außerdem tun wir gut daran, nicht alles ungefiltert zu
glauben, was uns erzählt wird“, erwiderte Karl.
„Oh
ja! Und das trifft ganz sicher auch auf die Meldungen zu, die wir in
einschlägigen Zeitschriften zu lesen bekommen.“
„Da
seid ihr Frauen vielleicht sogar noch anfälliger, als wir Männer“, spöttelte
Karl.
„Leider
ist es so. Aber mal ehrlich, ist es wirklich interessant, dass sich X und Y getrennt
haben? Ich kann auch nicht behaupten, dass es mich wirklich interessiert, wie
schwer das Baby ist, das demnächst in England geboren wird.“
„Ich
glaube, Gerda, dass unser Gehirn einfach überfordert ist mit der Menge an
Informationen, die uns heute zur Verfügung stehen. Und um auf die so genannten Promi-News zurückzukommen: Was leisten diese Menschen denn
wirklich für unsere Welt und vor allen Dingen frage ich mich, was macht dies
mit uns und unseren Kindern, wenn man mit fragwürdigen Dingen Berühmtheit
erlangt?“
„Weißt
du, Karl, ich denke, so manche allein erziehende Mutter oder berufstätige
Hausfrau leistet mehr, als irgendeine dieser Berühmtheiten und noch eines muss man bedenken. Vielleicht ist das mit den Mitteilungen, die uns erreichen auch
so ein bisschen wie bei unserem Spiel aus Kindertagen. Wie nannten wir es
noch?“, fragte Gerda.
„Du
denkst bestimmt an die ‚Stille Post’ nicht wahr?“
„Ja
genau. Bei jeder Weitergabe wird etwas dazu geschummelt oder man lässt etwas
Wichtiges weg. Schon hat man nichts anderes, als Füllmaterial für eine
Zeitschrift, die nun mal wöchentlich erscheinen muss.“
„Fakt
ist auch“, entgegnete Karl, „dass wir Lügen besser entlarven, wenn wir dazu die
Körpersprache haben. Das fällt beim Lesen einer Meldung natürlich weg.“
„Ich glaube, es besteht noch in anderer
Hinsicht eine Gefahr“, äußerte Gerda. „Wenn wir uns nämlich permanent mit dem
Leben anderer befassen, müssen
wir uns nicht mit uns und unserem eigenen Leben auseinander setzen. Vielleicht
ist es meine eigene Langeweile oder Neugier, die mich ständig diese Informationen
lesen lässt.“
„Weißt
du, Gerda, ich brauche nicht die Schicksalsschläge anderer Menschen, um mich
glücklich zu fühlen.“
„Ich
auch nicht, Karl. Und außerdem: Wichtige Informationen, die mich und mein Leben
betreffen, die werden Wege finden, um mich zu erreichen.“
©
Martina Pfannenschmidt, 2018