Das
Telefon klingelte und als Gerda sich meldete, ahnte Graufellchen, dass es
vielleicht ein längeres Gespräch werden könnte. Aber das kam immer auf den
Anrufer an. Diesmal war es Inge. Das vernahm das Mäuschen Gerdas Worten. Sehr
bald bemerkte es, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Gerdas
entsetztes: „Ach, Inge, das tut mir wirklich leid“, ließ darauf schließen.
Nicht
nur Graufellchen lauschte seither mit gespitzten Ohren, sondern auch Karl.
Da
die beiden aber nur Gerdas Worte vernahmen und nicht hören konnten, was Inge
sagte, mussten sie sich gedulden, bis das Telefonat beendet war, um zu erfahren, was genau geschehen war. Als Gerda ins
Wohnzimmer kam, begann sie sogleich zu erzählen:
„Stell
dir vor, Karl, Inge musste ihren kleinen Mischling Bruno einschläfern lassen.
Ach, das tut mir so Leid für sie. Jahrelang haben die beiden zusammen gelebt,
ja sie haben sich geliebt, möchte ich sagen, und nun musste er so unerwartet über
die Regenbogenbrücke gehen.“
„Ach
je, da wird Inge richtig traurig sein. Ich kann mir denken, dass es bei einer
derart engen Beziehung, wie sie zwischen Inge und ihrem Hund bestand, fast egal
ist, dass Bruno ‚nur’ ein Tier war.“
„Das
glaube ich auch. Um einen Menschen würde Inge kaum mehr trauern. Bruno war wie
ein guter Freund für sie. Vielleicht so ein bisschen Kindersatz. Schließlich
musste sie ihn versorgen und war für ihn verantwortlich, wie man für ein Kind
die Verantwortung hat.“
„Mir
kommt gerade ein Kollege in den Sinn, der seinen Hund auch sehr betrauert hat.
Andere zeigten dafür überhaupt kein Verständnis. Es ist doch kein Mensch
gegangen, sagten einige und schüttelten mit dem Kopf.“
„Ich
glaube, Karl, dass es der Trauer egal ist, um welches Lebewesen es sich
handelt. Wenn wir wirklich geliebt haben, sind wir traurig, wenn wir Abschied
nehmen müssen.“
„Da
denke ich wie du. Alle lebenden Wesen, die uns wichtig waren und irgendwann
nicht mehr da sind, werden uns fehlen und die entstandene Lücke will gefüllt
werden und die Betroffenen müssen sich völlig neu auszurichten.“
„Hoffentlich
gelingt es Inge!“
„Denk
nur, Gerda, es geht ja schon mit dem Gassi gehen los, das jetzt fehlt. Diese
bekannte, vertraute Routine, die ihr Halt gab. Plötzlich ist auch kein
Ansprechpartner mehr da. Sie hat ja sonst niemanden, mit dem sie in ihrer Wohnung
sprechen kann.“
„Diese
Stille, diese Leere, muss schrecklich für sie sein, Karl. Ich glaube, sie hat
wirklich ihren besten Freund verloren. Er war doch ihr ständiger Begleiter; war immer da, hat ungeduldig auf sie gewartet, wenn sie mal ohne ihn das Haus
verlassen hatte. Er war ihr Lebensinhalt – und nun diese Einsamkeit.“
„Da
kann man ihr nur wünschen, dass sie recht bald einen neuen Begleiter an ihrer
Seite findet. Die Tierheime sind voll von Tieren, die ein liebevolles Zuhause
suchen.“
„Eben
meinte sie, dass sie noch nicht weiß, ob sie sich das noch einmal antun möchte.
– Sie meinte natürlich den Schmerz, nicht das Zusammenleben.“
„Ich
verstehe dich schon, Gerda!“
„Inge
meinte, dass ihre Beziehung zu Bruno erfüllender war, als die zu manchen Menschen
in ihrem Umfeld. Das finde ich fast schon bedenklich, Karl.“
„Warum?
Ich kann das durchaus nachvollziehen. Kein Mensch liebt so bedingungslos, wie Tiere.
Das gilt für Hunde vielleicht ganz besonders. Sie üben keine Kritik, man
bekommt von ihnen ausschließlich positives Feedback. Das sieht bei Menschen oftmals
anders aus.“
„Willst
du damit sagen, dass ich zu kritisch bin, Karl?“
„Nein,
das wollte ich nicht damit sagen! Ich meine, der Hund tat ihr einfach gut.“
Gerda
sprang auf und ging zu ihrem Sekretär. Dann begann sie in den Schubladen zu
kramen.
„Irgendwann
habe ich mal aus einer Zeitschrift etwas ausgeschnitten“, meinte sie, „da ging
es genau um dieses Thema. – Da ich hab’s.“ Gerda hielt einen Zettel in ihrer
Hand und begann, vorzulesen, was darauf stand:
"Ich will dir
ein Tier für eine Weile leihen", sagte Gott, „damit du es lieben kannst,
solange es lebt - und trauern, wenn es tot ist. Ich kann dir nicht versprechen,
dass es bleiben wird, weil alles von der Erde zurückkehren muss. Wirst du darauf
aufpassen, für mich, bis ich es zurückrufe? Es wird dich bezaubern, um dich zu
erfreuen und sollte sein Bleiben nur kurz sein, so hast du immer die
Erinnerungen, um dich zu trösten. Willst du ihm all deine Liebe geben und nicht
denken, dass deine Arbeit umsonst war? Und mir auch nicht grollen, wenn ich das
Tier zu mir Heim hole?"
Mein
Herz antwortete: "Mein Herr, dies soll geschehen. Für all die
Freuden, die dieses Tier bringt, werde ich das Risiko der Trauer eingehen. Ich
werde es mit Zärtlichkeit beschützen und es lieben, solange ich darf. Und für
das Glück, das ich erfahren darf, werde ich für immer dankbar sein. Aber
solltest du es früher zurückrufen, viel früher, als geplant, werde ich die
tiefe Trauer meistern und versuchen, zu verstehen. Wenn mein geliebtes Tier
diese Welt voll von Spannung und Zwietracht verlässt, schicke mir doch bitte
eine andere bedürftige Seele, damit ich sie ein ganzes Leben lang lieben kann.“
*)
© Martina Pfannenschmidt, 2018
(*Der Autor dieser
Zeilen ist mir leider unbekannt. Sollte jemand den Autor kennen oder selbst der
Autor sein, so wäre ich für eine Mitteilung dankbar.)