An
diesem Vormittag war etwas Eigenartiges geschehen. Graufellchen war vor seine
Höhle getreten, wie er es immer tat, wenn die beiden Menschen nicht zuhause
waren, doch dann wäre er fast über etwas gestolpert.
Ein
bisschen mulmig war dem Mäuschen in diesem Moment schon zumute gewesen. Konnte Gerda
vielleicht Gedanken lesen oder gar hellsehen?
Das
war nämlich so: Als er an diesem Morgen erwacht war, hatte er sich in seiner
kleinen Wohnung umgesehen und gemeint, dass es mal wieder Zeit würde,
durchzufegen. Doch leider befand sich kein Besen in Graufellchens Bündel. Man
konnte ja auch nicht an alles denken. Ja und nun wäre er fast über einen solchen
gestolpert. Also, ein richtiger Besen war es nicht, sondern eine alte von Gerda
ausrangierte Zahnbürste lag direkt neben dem Eingang zu seiner Höhle.
Die
Frau des Hauses hatte die Bürste ordentlich gereinigt und den Stiel gekürzt, damit der improvisierte Besen eine für Mäuseverhältnisse passende Größe hatte. Das war ihr ziemlich gut
gelungen, so dass Graufellchen sofort mit den Reinigungsarbeiten begonnen hatte.
Jetzt
blitzte und blinkte es wieder in seiner Wohnung. Das kleine Häufchen Staub, das
jetzt vor seiner Höhle lag, würde Gerda gewiss mit ihrer Höllenmaschine
entfernen. Graufellchen fühlte sich wieder so richtig wohl in seinem Zuhause.
Doch
diese Putzwut, die ihn direkt zu Beginn des neuen Jahres überfallen hatte,
schien nicht nur ihn zu betreffen, sondern auch Gerda, die kurz nach ihrem
Heimkommen die Schranktüren geöffnet hatte, um die Schränke auszuwischen. Dabei blieb
es allerdings nicht, wie Graufellchen der Unterhaltung entnehmen konnte.
„Ach
nein, Schatz, geht es schon wieder los?“, fragte Karl und seiner Stimme war ein
bisschen Unverständnis für Gerdas Tun anzumerken.
„Ja,
es muss sein. Ich weiß, dass es dir ein bisschen auf die Nerven geht, dass ich
zu Beginn eines neuen Jahres immer aufräume und Dinge entsorge. Aber was sein
muss, muss sein.“
„Also
für mich muss es nicht sein. Du hast doch in all den Jahren schon so viel
weggeschmissen. Manches hätte man vielleicht noch einmal gebrauchen können.“
„Ja,
genau, Karl, vielleicht. Deshalb stehen auch zwei Kartons hinter mir. In den linken
legen wir die Dinge, von denen wir sicher sind, dass sie auf jeden Fall weg
sollen und in den rechten kommen die, von denen wir denken, dass wir sie vielleicht
noch einmal nutzen. Und wenn wir sie in diesem Jahr kein einziges Mal vermisst
haben, wird der Karton im kommenden Jahr entsorgt, und zwar, ohne dass wir noch
einmal hinein schauen.“
„Da
du ja sowieso keine Ruhe gibst, lass ich mich auf diesen Deal ein“, scherzte
Karl und hielt seiner Frau seine Hand hin, die daraufhin abklatschte.
Graufellchen
beobachtete diese Szene schmunzelnd.
„Schau
nur, Gerda, diese Vase dürfen wir auf keinen Fall wegschmeißen. Sie ist noch
von meiner Tante Agnes. Es war ihre Lieblingsvase musst du wissen.“
„Ihre
Lieblingsvase mag es gewesen sein“, entgegnete Gerda, „aber nicht meine und
deshalb kommt sie in den linken Karton.“
„Nein,
Gerda. Das geht auf gar keinen Fall. Also wenn überhaupt, dann kommt sie in den
rechten Karton.“
„Gut,
wenn du meinst.“
Zwei
Stunden später:
„Karl,
schau mal bitte in unsere Kartons. Wenn wir in diesem Tempo weiter machen, sind
wir Ostern noch nicht fertig.“
„Ach
Gerda, du weißt doch, wie schwer es mir fällt, mich von Dingen zu trennen.“
„Natürlich
weiß ich das. Deshalb gibt es ja auch den rechten Karton. Aber weißt du, ich
bin einfach sicher, dass uns all die Dinge irgendwie belasten.“
„Gerda,
nun übertreibst du aber.“
„Nein,
ich meine es schon ernst. Gut, ich gebe zu, dass wir es bewusst sicher nicht
bemerken, aber vielleicht unbewusst. Alles gibt Energie ab, Karl, die uns
wiederum umgibt. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal gelesen habe: Behalte
nur die Dinge, die dich glücklich machen und trenne dich in Dankbarkeit von allem
anderen und entsorge es.“
Fast
hatte es den Anschein, als würde Karl etwas vor sich hin murmeln. Verstehen
konnte Graufellchen es allerdings nicht.
Eine
Weile später fing Gerda ein weiteres brisantes Thema an.
„Du
Karl, dieses Bild hier an der Wand …“
„…
war ein Geschenk meiner Mutter“, setzte Karl den begonnen Satz fort.
„Ja,
war ein Geschenk deiner Mutter“, wiederholte Gerda und fuhr mutig fort, „aber
es versetzt mich jedes Mal in eine komische Stimmung.“
„Aber
Geschenke wirft man nicht weg!“, warf Karl ein.
„Sagt
wer?“
Keine
Antwort.
„Weißt
du Karl, es kann doch nicht sein, dass man sich in seinem eigenen Zuhause nicht
wohl fühlt, nur weil man der Meinung ist, geschenkte Dinge dürfe man auch nach
zehn oder zwanzig Jahren noch nicht entsorgen.“
„Heute
scheint alles schnell austauschbar zu sein“, erwiderte Karl pampig.
„Ja,
vielleicht ist es so. Wenn ich zum Beispiel an Schmuckstücke denke, stimme ich
dir zu. Früher hatten Schmuckstücke einen ganz anderen Wert, als heute. Von dem
emotionalen einmal ganz angesehen. Heute ist Schmuck erschwinglich und kann
schnell mal gegen neuen ausgetauscht werden. Das gilt sicher auch für Geschirr,
Handtücher und Bettwäsche.“
„Masse
anstelle von Qualität“, warf Karl maulend ein.
„Auch
damit magst du Recht haben. Aber schau, welchen Sinn hat es, dass ich all die
Bettbezüge noch im Schrank horte, nur weil ich sie einst zur Konfirmation
geschenkt bekam. Inzwischen gibt es die schöne Biberbettwäsche, die du auch so
magst. Darin schlafen wir doch viel besser, jetzt im Winter.“
„Aber
im Sommer mag ich die weiße Leinenbettwäsche am liebsten.“
„Ja
Karl, die werde ich auch nicht aussortieren. Aber was sollen wir mit all den anderen
anfangen? Und ganz ehrlich: Ich freue mich auch, wenn ich mal wieder neue
kaufen darf.“
Für
eine Weile schwieg Karl, doch dann erkundigte er sich vorsichtshalber, um nicht
Gefahr zu laufen, seine Frau falsch verstanden zu haben: „Du meinst also, wir
sollen nur die Dinge behalten, die Freude bei uns auslösen?“
Gerda
nickte bestätigend.
Am
Abend traute Graufellchen seinen Augen kaum. Gerda tanzte mit weit
ausgebreiteten Armen durch das Zimmer.
„Ich
kann mir nicht helfen, Karl“, rief sie dabei aus, „aber irgendwie fühle ich
mich wie befreit!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2018