Donnerstag, 9. November 2017

Omi, wollen wir …

Kathrin war mit ihren Eltern auf dem Weg ins Schwimmbad. Ihr ging noch das Gespräch mit ihrer Großmutter durch den Kopf.
Mama drehte das Autoradio lauter, weil ihr Lieblingslied gespielt wurde. Das war wieder typisch. Wenn Mama ein Lied gefiel, drehte sie das Radio lauter, doch wenn sie ihren MP3-Player anstellte, sagte Mama immer: „Kathrin, nicht so laut“. Aber so waren sie, die Erwachsenen.
Nur Oma nicht. Die war anders. Sie war auch nicht so laut und hektisch, wie ihre Mama. Oma war immer sehr ruhig und besonnen und außerdem wusste sie ganz viel. Das lag bestimmt daran, dass sie schon so alt war. Aber eigentlich war Mama ja auch schon alt. Ziemlich sogar.
„Du Mama“, wollte Kathrin wissen und musste gegen die Musik anbrüllen, „wie kommt es eigentlich, dass Omi so viel weiß?“
„Durch ihre Lebenserfahrung“, erwiderte Mama.
Ach, so nannte man das, Lebenserfahrung. Kathrin nahm sich in diesem Moment vor, auch ganz viel Lebenserfahrung zu sammeln. Ob sie wohl auch eines Tages eine Enkeltochter haben würde? Aber dann müsste sie ja zunächst einmal eigene Kinder haben. Ob sie das wollte? Kathrin war sich da noch nicht so sicher. Die Jungs, die sie kannte, die wollte sie alle nicht heiraten und man musste ja einen Mann haben, wenn man Kinder haben wollte.
Nachdem die jungen Leute das Haus verlassen hatten, war es still geworden. Oma machte es sich in ihrem Liegestuhl gemütlich und schloss für einen Moment die Augen. Nein, sie wollte nicht schlafen, nur diese Stille genießen.
Bssss – eine dicke Hummel brummte an ihrem Ohr vorbei. Oma öffnete die Augen wieder. Der pelzige Brummer flog zielsicher direkt in die Blüte einer lilafarbigen Tulpe hinein. Wenn man die Welt der Insekten betrachtete, konnte man nur staunen. Jedes dieser kleinen Tierchen wusste ganz genau, welche Aufgabe es hatte. Doch woher? Niemand konnte es ihm sagen. Erstaunlich, einfach erstaunlich, fand Oma. Sie schloss die Augen wieder und konnte nicht verhindern, dass sie doch ein wenig einnickte.
 „Hallo Omi“, wurde sie von Kathrin nach einiger Zeit geweckt. Das Mädchen hatte ihre Haarspange gelöst, so dass ihre blonden Locken nur so um ihren Kopf herum tanzten. Oma lächelte. Wie schön es war, ein Enkelkind zu haben.
„Schau, wir haben dir wie versprochen einen Berliner mitgebracht“, rief Kathrin. „Du Omi, wollen wir um die Wette essen oder nein, ich habe noch eine bessere Idee. Wenn wir in den Berliner beißen, dürfen wir den Zucker nicht mit der Zunge von den Lippen schlecken. Wer das macht, hat verloren. Ja Omi, wollen wir das so machen?“
„Oh ja, das machen wir“, freute sich Oma über die willkommene Abwechslung. Kathrin fischte zwei Berliner aus der Tüte.
„Auf die Plätze, fertig los!“ Beide bissen herzhaft hinein. Das Mädchen musste lachen, Oma hatte eine richtige Zuckerschnute. Sie mussten sich beide ganz schön konzentrieren. Es war nämlich gar nicht so leicht, ihn einfach kleben zu lassen, den süßen Zucker.  Sie bissen ein zweites Mal zu und schon passierte es. Ein dicker Klecks Marmelade fiel direkt auf Omas Bluse.
 „Das darf doch nicht wahr sein!“, rief sie erschrocken aus. „Jetzt habe ich meine schöne Bluse bekleckert. Da wird Mama aber mit mir schimpfen.“
„Nein, wird sie nicht“, antwortete ihre Tochter, die in dem Moment in den Garten kam. „Wir haben doch eine Waschmaschine.“
Sie verbrachten alle zusammen noch einen wundervollen Nachmittag bei herrlichem Sonnenschein in ihrem schönen Garten und natürlich hatte Kathrin das kleine Wettspiel gewonnen.

© Martina Pfannenschmidt, 2015