Vorsichtig
klopfte Oma an Kathrins Zimmertür. Von drinnen hörte sie ein wehleidiges: "Herein!"
„Hallo, mein
krankes Mäuschen, darf ich eintreten?“ Kathrin nickte und Oma ging zu ihr ans
Bett.
„Tut dir der
Hals immer noch so doll weh?“, erkundigte sie sich fürsorglich.
Wieder kam
nur ein Nicken. „Dann gehe ich wohl lieber wieder, damit du dich gesund
schlafen kannst“.
„Nein, bitte
bleib! Mir ist langweilig.“
„Auch das noch,
was können wir denn nur dagegen tun?“
„Ich hätte
vielleicht eine Idee! Hol dir dort den Stuhl und dann
erzählst du mir von früher, als du noch ein Kind warst.“
Natürlich
ging Oma auf diesen Wunsch ein. Sie zog den Stuhl dicht ans Bett heran und
überlegte, was sie erzählen könnte.
„Ich erinnere
mich“, begann sie und nahm die vom Fieber heiße Hand ihrer Enkelin, um sie in
ihre Hände zu legen, „dass ich auch in jedem November krank im Bett lag. Das
machte mich manchmal richtig wütend. Was hat der November nur gegen
mich, dachte ich. Immer schickt er mir so eine blöde Krankheit.“
„Omi, der Monat war doch nicht schuld, dass du
krank warst!“.
„Was bist du
doch für ein schlaues Kind“, foppte Oma ihre Enkelin. „Meine Mama hat genau wie
deine immer versucht, mir mit alten Hausmitteln zu helfen.“
„Was sind
denn alte Hausmittel?“
„Das sind
keine vom Arzt verordneten Medikamente, die chemisch hergestellt werden,
sondern es sind Dinge, die sich im Haushalt finden lassen. So hilft Honig gegen
Husten und bei einer Erkältung tut eine Hühnersuppe gut. Neben meinem Bett
stand ein Schälchen mit einer Zwiebel. Darauf war brauner Kandis gestreut. Der
Geruch befreite die Nase und den Sud, der sich bildete, bekam ich gegen meinen
Husten. Es gab aber auch Speck für mich.“
„Speck? Ich
denke, mit ihm fängt man Mäuse, oder nicht Omi?“
„Ja, mit
Speck fängt man Mäuse. Das stimmt wohl. Aber ich bekam ihn aus einem anderen
Grund, nämlich für oder besser gesagt gegen meine Mandelentzündung.“
„Das glaube
ich dir nicht. Jetzt flunkerst du, Omi“.
„Doch es ist
wahr. Meine Mama schnitt ihn in hauchdünne Streifen, legte ihn auf ein Tuch und
dieses bekam ich zusammen mit einem dicken, warmen Schal um den Hals gelegt.“
„Ach du meine
Güte, das war aber eklig!“. Kathrin schüttelte sich ein wenig bei der
Vorstellung.
„Geht so, ein
ganz kleines bisschen vielleicht. Wenn sich der Speck am Hals erwärmte, roch es
etwas unangenehm. Doch das war nicht so schlimm. Ich wusste ja, am nächsten Tag
würde es mir dadurch besser gehen. Der Speck zog die Entzündung heraus.
Zumindest hat meine Mutter es immer so gesagt.“
„Aber die
feucht-warmen Halswickel von Mama, die helfen auch“, erklärte Kathrin schnell.
Sie hatte wohl Angst, Oma käme sonst auf die Idee, ihr auch Speck um den Hals
zu wickeln.
„Du siehst“,
kam Oma auf die alten Hausmittel zurück, „einige Dinge von damals haben bis
heute Bestand, doch manches hat sich auch sehr verändert.“
„Was denn,
Omi?“
„Na, zum
Beispiel hatte ich kein so schönes Zimmer wie du. Ich musste ein Zimmer mit
meiner Schwester, Tante Alma, teilen. Dort standen nur unsere beiden Betten und
ein Kleiderschrank. Um dort zu spielen, war es viel zu kalt. Wir hatten noch
keine Heizung, so wie du es heute kennst. Bei uns standen Öfen in einigen
Räumen, die mit Holz und Kohle beheizt wurden. Im Winter war es meistens nur in
einem Zimmer richtig schön warm. Dort traf sich die ganze Familie. Weißt du
Kathrin, wir hatten auch noch keinen Fernseher, als ich klein war. Nur ein
Radio um die Nachrichten zu hören. Ansonsten hat man sich unterhalten oder
gemeinsam musiziert. In dem Raum habe ich oft unter dem Tisch hockend mit
meiner Puppe gespielt. Oder wir spielten alle zusammen ‚Mensch-ärgere-dich-nicht’
oder Karten.“
„Es gab
keinen Fernseher? Das finde ich blöd. Aber wenn ihr alle zusammen gespielt
habt, war das bestimmt toll.“
„Das war es.
Weißt du, die Menschen hatten viel mehr Zeit als
heute. Besonders im Winter. Es war so urgemütlich in der Stube wenn alle
zusammen waren. Einfach richtig schön.“
„Heute bist
du oft alleine, Omi!“
„Mach dir
darüber keine Gedanken. Auch wenn wir heute nicht mehr alle in einem Raum
zusammen sind, so gibt es doch ein Zusammengehörigkeitsgefühl das schön ist.“
Oma fuhr mit
ihren Erinnerungen an ihre Kindheit fort.
„Die anderen
Räume, zum Beispiel die Schlafzimmer oder der Flur wurden nicht beheizt. Dort
war es bitterkalt. Tante Alma und ich waren froh über die Wärmflaschen, die uns
unsere Mutter an jedem Abend ins Bett legte. Die Fenster waren auch noch nicht
so dicht wie heute. Manchmal spürte man den kalten Wind durch die Ritzen
pfeifen und Papa musste sie mit Zeitungspapier ausstopfen. Das sah nicht so
schön aus, aber es gab etwas, das war wunderschön!“
„Was denn
Omi, erzähl! Was war es?“
„An den
Fenstern, die nur aus einer einzigen dünnen Glasscheibe bestanden, zeigten sich
wunderschöne Eiskristalle. Sie sahen aus wie von der Eisprinzessin höchst
persönlich ans Fenster gezaubert. Es waren herrliche Muster, die wie Eisblumen
aussahen. Manchmal waren die Scheiben sehr vereist. Man konnte gar nicht hindurchblicken.
Wollte man schauen ob es schneite, musste man eine Stelle anhauchen und mit der
warmen Hand ein wenig an der Stelle reiben, bis man mit einem Auge einen
Blick nach draußen hatte.“
„Das war
bestimmt schön. Ich habe noch nie so ein vereistes Fenster gesehen. Aber
ehrlich gesagt, finde ich es noch viel schöner, dass es heute überall in der
ganzen Wohnung warm ist. Du auch, Omi?“
„Ja, ich auch!
Und nun werde ich wieder in meine warme Stube gehen. Vorher sage ich jedoch deiner
Mama Bescheid, dass du ganz rote Fieberbäckchen hast. Dann wird sie kommen und
Wadenwickel machen.“
Als Oma zur
Tür ging, drehte sie sich noch einmal um und winkte Kathrin aufmunternd zu.
Die
Wadenwickel werden ihr helfen, dachte Oma‚ und auch die liebevolle Zuwendung
ihrer Mutter.
© Martina
Pfannenschmidt, 2015