Freitag, 10. November 2017

Milly, Billy und Molly …

…waren Geschwister. Sie lebten hoch oben in den Baumwipfeln. Ihre Eltern hatten ein Nest in einer Astgabel gebaut. Das Nest hatte unten ein Loch, aus dem sie heraus- und auch wieder hineinschlüpfen konnten. Ihre wunderbaren bauschigen Schwänze halfen ihnen, wenn sie von Baum zu Baum sprangen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Milly, Billy und Molly waren Eichhörnchen und sehr vorsichtige Tiere. Wenn sie über den Boden liefen, bleiben sie immer wieder stehen, um sich aufzurichten. So hielten sie Ausschau nach Tieren, vor denen sie sich in Acht nehmen mussten. Zum Beispiel Mader und Bussarde. 
Ebenso wie auch Menschenkinder waren die drei Eichkätzchen tagsüber sehr aktiv. Nachts schliefen sie dann müde in ihrem Nest. Bei Kälte kuschelten sie sich aneinander und deckten sich mit ihren Schwänzen gegenseitig zu.
Jetzt war der Herbst hereingebrochen. Es war kälter geworden. Morgens lag dicker Nebel über dem Wald und das Laub begann sich zu verfärben.
Es wurde für die drei Geschwister Zeit, Wintervorräte zu sammeln. Sie fraßen am liebsten Beeren, Pilze, Obst und Knospen. Für den Winter legten sie sich Nüsse in ihre Vorratskammer. Die befand sich unten an der Wurzel ihres Baumes. Sie scharrten dann ein Loch, legten die gesammelten Nüsse hinein und scharrten es wieder zu. Im Winter konnten sie sich dann hier bedienen – so wie die Menschen, die ihre Wintervorräte im Keller lagern. Manchmal legten sie die Nüsse aber auch in Baumhöhlen oder an die Wurzeln anderer Bäume. Dann war es gar nicht so einfach, diese Verstecke im Winter wieder zu finden.
Heute war ein schöner Herbsttag und Milly, Billy und Molly beschlossen, zu dem Bauernhof zu laufen, da in dem Bauerngarten ein wunderschöner Nussbaum stand. So machten sie sich auf den Weg, blieben zwischendurch stehen, um gleich darauf wieder flink, wie Eichkätzchen nun mal sind, weiter zu laufen.
Milly verspürte ein wenig Hunger und deshalb rief sie ihre Geschwister:
„Hallo, ihr zwei, haltet einmal an. Dort drüben steht ein Brombeerstrauch. Wollen wir eine kleine Rast machen und davon naschen?“
Das war eine gute Idee. Die drei liefen Richtung Brombeerstrauch, als Milly plötzlich aufschrie: 
„Aua, ich bin in einen Dorn getreten. O, das tut weh. Er steckt noch in meiner Pfote. Könnt ihr ihn bitte herausziehen?“
„Mensch, Milly“, sagte Molly. „Wie konnte das denn nur passieren. Du musst besser aufpassen.“
Ganz vorsichtig entfernte Molly den Dorn. Nachdem sie sich gestärkt hatten, ging die Reise weiter. Etwas langsamer, denn Milly humpelte ein klein wenig. Bald drauf waren sie am Bauernhaus angekommen.
Auf dem Hof standen ein Traktor und ein riesiger Kastanienbaum. Vorsichtig näherten sie sich. Milly und Billy liefen zum Nussbaum, sammelten die Nüsse und versteckten sie in ihren Wangen.
Molly hatte etwas anderes entdeckt. Durch das Terrassenfenster hatte sie eine Schüssel mit Nüssen gesehen. Da wollte sie hinlaufen und sich welche stibitzen. Sie rannte los und knallte mit voller Wucht gegen die Scheibe. Die beiden Geschwister wurden durch den Knall aufgeschreckt, liefen sofort zu ihr und fanden Molly jammernd vor der Tür. 
„Was ist passiert?“, erkundigte sich Billy.
„Manno, ich hab gedacht die Tür steht offen und da wollte ich mir die Nüsse da aus der Schüssel holen“, klagte sie.
„Das geschieht dir recht“, meinte Milly. „Man stiehlt doch den Menschen nicht die Nüsse aus ihrer Wohnung. Hier sind doch wohl noch genug für uns. Hör auf zu jammern. Hast selbst schuld.“
Mitleid klang irgendwie anders. Aber so ganz Unrecht hatte Milly ja nicht und deshalb sagte Molly auch nichts mehr. Sie dachte nur an das Sprichwort der Menschen: Alle guten Dinge sind drei. Hoffentlich passierte nicht noch ein Malheur. 
Ihre Wangen saßen voll mit Nüssen und so wollten sie sich wieder auf den Heimweg machen. Die drei huschten über den Hof des Bauernhauses. Sie blieben unter dem Kastanienbaum stehen, um sich umzuschauen, als das Unglück seinen Lauf nahm. Genau in dem Moment löste sich eine Kastanie und fiel direkt auf den Kopf von Billy.
Billy fiel um. Am Kopf bildete sich schlagartig eine dicke, dicke Beule. Milly und Molly stürzten zu ihm.
„Billy, wach auf“, riefen sie gleichzeitig. „Billy, schläfst du?“ Sie rüttelten an ihm, aber Billy rührte sich nicht. 
Da öffnete sich die Haustür. Der kleine Pascal trat auf den Hof und entdeckte die drei. Er wunderte sich über das Bild, das sich ihm bot. Das musste er sich aus der Nähe anschauen.
Vorsichtig, um die drei nicht zu erschrecken, kam er näher. Dann fragte er leise, was denn geschehen sei.
Milly und Molly kannten Menschen. Sie waren oft im Park und wussten, dass Menschen nett zu Eichhörnchen waren. Ein Mann hatte sie als „putzig“ bezeichnet und sie mit Erdnüssen gefüttert. Also hatten sie keine Angst vor Pascal und erzählten ihm, was geschehen war.
„Ich habe zum Geburtstag einen Arztkoffer geschenkt bekommen“, berichtete Pascal. „Ich laufe gerade in mein Zimmer und hole ihn. Dann kann ich Billy untersuchen und mit dem Stethoskop abhören. Vielleicht lebt er ja gar nicht mehr.“
Die beiden Schwestern bekamen einen gehörigen Schreck. Wie sollten sie das alles nur ihren Eltern erklären, die sie zur Aufmerksamkeit erzogen hatten. 
„Billy“, rief Molly. „Billy, bitte wach wieder auf.“
Pascal kam mit seinem Arztkoffer angerannt. Er steckte sich das Stethoskop in die Ohren und begann mit der Untersuchung.
„Entwarnung“, sagte er. „Billy lebt. Ich kann sein Herz hören.“
„Gott sei Dank“, riefen die beiden Schwestern.
„Ich werde Billy jetzt einen Verband machen. Dann frage ich meine Eltern, ob ich ihn zurück in den Wald tragen darf“, schlug Pascal vor.
Das war eine sehr gute Idee. Pascals Vater begleitete die kleine Truppe und mitten im Wald schlug Billy die Augen wieder auf.
„Autsch“, sagte er. „Mein Kopf tut weh. Was ist denn nur geschehen und wer bist Du?“
„Ich bin Pascal und bringe dich zurück in den Wald. Milly und Molly werden dir später erzählen, was geschehen ist. Ich bin nur froh, dass du jetzt wieder wach bist“, erklärte Pascal die Situation.
An ihrem Baum angekommen verabschiedeten sich die drei von Pascal und seinem Vater. Sie bedankten sich bei den beiden und kletterten auf ihren Baum. Dort hatten sie ihren Eltern ebensoviel zu erzählen, wie Pascal am nächsten Tag den anderen Kindern in seinem Kindergarten.

© Martina Pfannenschmidt, 2014