„Du
Omi, bist du eigentlich arm oder reich?“, wollte Kathrin wissen.
Oma
lachte laut auf. „Nein, Kathrin, reich bin ich wohl nicht, höchstens an
Erfahrung, arm bin ich auch nicht. Aber weshalb fragst du, benötigst du für
irgendetwas Geld?“
„Nein,
nein, deshalb frage ich nicht. Ich dachte nur, du wünschst dir nie etwas. Ich
habe noch nie gehört, dass du irgendetwas Bestimmtes haben möchtest.“
„Ist
das so?“, fragte Oma, als ob sie nicht ganz genau wüsste, wie recht Kathrin mit
ihrer Feststellung hatte.
„Weißt
du, als ich noch jünger war, hatte ich auch viele Wünsche. Doch meine Eltern
konnten sie mir nicht alle erfüllen. Das war sicher gut so, dass ich nicht
immer gleich alles bekam, was ich mir so vorgestellt hatte. Später, als ich
etwas älter war, habe ich hier und da gejobbt; mir so ein bisschen Geld
verdient, um mir meine kleinen oder größeren Wünsche erfüllen zu können. Heute
ist das anders. Die einzigen Wünsche, die ich heutzutage habe, kann man nicht
mit Geld kaufen.“
„Was
hast du denn früher gemacht, um Geld zu verdienen?“, wollte Kathrin wissen.
„Ganz
in unserer Nähe wohnte eine wirklich reiche aber auch sehr einsame Dame. Sie war schon ziemlich alt und kränklich. Alle ihre
Lieben waren verstorben: ihr Mann, ihr Sohn, ihre Schwester. Sie hatte keinen
Menschen mehr aber viele Tiere, um nicht so allein zu sein. Einige Vögel, eine Katze und einen
Hund. Es war wirklich ganz erstaunlich, wie gut sich die Tiere untereinander
verstanden. Die Vögel lebten in einer geräumigen Voliere. Die Katze ging durch
eine Klappe in den Garten und kam irgendwann von ihren Ausflügen zurück. Nur
der Hund benötigte mehr Auslauf und so habe ich mit ihm Spaziergänge gemacht
und mir mein kleines Taschengeld aufgebessert.“
„Omi,
du hast gesagt, die Tiere haben sich gut verstanden. Meinst du, sie haben
miteinander gesprochen?“
„So
habe ich das eigentlich nicht gemeint“, schmunzelte Oma, „doch ich denke schon,
dass es auch unter den Tieren so etwas wie eine Unterhaltung gibt. Keine
Sprache so wie es zwischen uns Menschen üblich ist, aber doch eine Art der
Verständigung.“
„Neulich
im Kino kam ein Film mit einem Mann, der die Tiere verstehen und auch mit ihnen
reden konnte. Maren, meine Freundin, hat gesagt, dass sei eine erfundene
Geschichte. Kein Mensch könne mit Tieren sprechen. Glaubst du, sie hat recht?“
Kathrin
sah ihre Oma mit großen Augen erwartungsvoll an.
„Stell
dir vor, liebe Kathrin, du würdest es können. Was würdest du machen? Würdest du
in deiner Schule davon erzählen?“
Kathrin
überlegte: „Ich glaube nicht. Die anderen würden mir nicht glauben und
wahrscheinlich auch über mich lachen.“
„Siehst
du, dass ist genau das Problem. Wenn es einen Menschen geben sollte, der es
kann, der würde es wahrscheinlich niemandem verraten oder nur den Menschen, die
er gut kennt und denen er sich anvertrauen mag. Aber auch die würden es
verschweigen aus Angst, als Lügner dazustehen.“
„Aber
stell dir einmal vor, einem Tierarzt wäre das möglich. Er bräuchte nur zu
fragen: ‚Sag mal, mein Kleiner, wo hast du denn Schmerzen’ und schon würde ihm
das Tier antworten und er könnte ihm sofort helfen. Das wäre doch klasse.“
„Ja,
dass wäre wirklich gut. Aber weißt du, was noch viel besser wäre?“ Kathrin
schüttelte mit dem Kopf und Oma fuhr fort: „Wenn die Menschen anders mit den
Tieren umgehen würden. Schau dir an wie schrecklich oft ihre Stallungen sind.
Die Tiere haben kaum Freiraum. Manchmal werden sie sogar gequält, als würden
sie gar keine Schmerzen wahrnehmen. Doch warum sollten sie nicht genau wie wir
auch, Schmerz, Freude und Trauer verspüren?“
„Letztens
war ich mit Mama einkaufen“, berichtete Kathrin. „Sie suchte ein Kopfkissen für
mich. Die Verkäuferin wollte ihr ein Daunenkissen verkaufen, doch Mama wollte
das nicht. Sie hat einmal gesehen, wie den Gänsen lebend die weichen Federn
ausgerupft wurden. Hinterher seien die armen Gänse vor Schmerzen taumelnd durch
den Stall gelaufen und teilweise tot umgefallen. Mama hatte Tränen in den Augen
als sie mir davon erzählte.“
„Genau
das meine ich. Wir Menschen sind oft so brutal, haben ganz vergessen, dass uns
diese Erde mit all den Tieren und Pflanzen anvertraut wurde. In der Bibel gibt
es eine Stelle und dort steht, Gott habe gesagt: ‚Seid fruchtbar und vermehrt
euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die
Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich
auf der Erde regen’. Doch viele Menschen haben diesen Satz völlig missverstanden.
Der Mensch soll sich nicht als Herrscher über alles aufspielen, sondern er soll
sich um die Natur mit allen Pflanzen und Tieren
kümmern.“
„Omi,
was können wir denn tun, damit sich etwas ändert?“
„Wir
können nur mit gutem Beispiel vorangehen und wir dürfen nicht wegschauen, wenn
einem Tier Schaden zugefügt wird. Wir müssen uns einsetzen, wo wir nur können.
Wenn wir uns ein Tier anschaffen, müssen wir uns darum kümmern und sollten es
nicht nach kurzer Zeit vernachlässigen oder gar aussetzen, wie es leider oft
geschieht. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass es ihm gut geht. Wir dürfen auch
nicht zögern, andere Menschen anzuzeigen, die Tiere quälen oder verhungern
lassen. Doch leider scheuen wir oft diesen Weg und schauen lieber weg. Das
sollten wir nicht tun.“
„Omi,
ich glaube, ich möchte am Wochenende mit Mama und Papa ins Tierheim gehen. Vielleicht
gibt es dort einen Hund oder zwei, die gerne mit uns einen Spaziergang machen
möchten. Was meinst du, ist das eine gute Idee?“
„Das
ist sogar eine sehr gute Idee!“
© Martina
Pfannenschmidt, 2015