„Onkel Henrik
hat gerade eine Nachricht geschickt. Das Baby ist angekommen“, verkündete
Kathrin.
„Wie schön“,
freute sich Oma, „ist es ein Junge oder ein Mädchen?“
„Ein Mädchen
und es heißt Charlotta“, erwiderte Kathrin voller Stolz jetzt eine Cousine zu
haben.
„Der Name
gefällt mir. Ich glaube, eine Charlotta ist ein Mädchen, das sich nicht
unterkriegen lässt. Der Name klingt so, als würde sie ein keckes und
aufgewecktes Kind werden.“
„Schau Omi“,
forderte Kathrin ihre Großmutter auf und zeigte ihr das erste Foto, das
Charlottas Vater vom Handy aus von der kleinen Dame gemacht hatte.
„Ist das nicht unglaublich, dass wir die Kleine jetzt schon
sehen können?“
„Nö“, meinte
Kathrin, „es ist ganz normal. Heute hat doch jeder ein Fotohandy.“
„Nö“,
erwiderte Oma scherzend, „nicht jeder.“
Oma besaß
zwar ein Handy, doch es war das ausrangierte ihrer Tochter.
„Soll ich dir mal erzählen, wie das damals
war, als ich geboren wurde?“, fragte Oma.
„Also das war
so: Zunächst einmal bin ich nicht im Krankenhaus geboren, sondern zu Hause.
Damals kam eine Hebamme zu uns ins Haus. Hebammen sind Frauen, die bei der
Geburt eines Kindes helfen. Auch heute noch. Doch damals war es schwierig, die
Geburtshelferin meiner Mutter zu erreichen. Kaum jemand besaß ein Telefon“.
„Wie“, fragte
Kathrin ungläubig, „ihr hattet kein Telefon?“
„Nein, damals
noch nicht. Das einzige Telefon in der ganzen Straße gab es bei unserem Nachbarn, der gegenüber von uns wohnte. Dorthin gingen wir und
baten darum, es benutzen zu dürfen. Anschließend bezahlten wir das Gespräch mit
20 Pfennigen.“
„Das war ja
peinlich“, fand Kathrin.
„Nein,
nein!“, widersprach Oma vehement. „Das war ganz und gar nicht peinlich. Aber
man überlegte schon ganz genau, wie dringend der Anruf war und in diesem Fall
war er unumgänglich. Ich sollte ja geboren werden.“
„Aber die
Hebamme, die hatte ein Handy – oder Omi?“.
„Ich weiß“,
meinte Oma verständnisvoll, „du kannst dir ein Leben ohne diese mobilen
Telefone gar nicht vorstellen, doch als ich geboren wurde, waren sie noch gar
nicht erfunden.“
„Aber
elektrisches Licht hattet ihr schon oder gab es das auch noch nicht?“, fragte
Kathrin mehr scherzend als fragend.
„Du kleiner
Schlingel! Doch, elektrisches Licht gab es schon, nur eben noch kein Handy und
nicht in jedem Haus ein Telefon.“
„Dann kam also
die Hebamme. Hatte sie überhaupt ein
Auto?“.
„Ja, sie
hatte ein Auto, ein ganz kleines, ein so genanntes Goggomobil, das von allen
nur kurz ‚Goggo’ genannt wurde“.
Kathrin lachte
auf, als sie diesen Namen hörte, doch sie verkniff sich jeglichen Kommentar,
damit Oma weiter erzählen konnte.
„Die
Geburtshelferin hatte es an dem Tag ziemlich eilig. Einige Straßen weiter
wollte zur selben Zeit noch ein Kind zur
Welt kommen. Sie fuhr also mit ihrem kleinen Auto von einer werdenden Mama zur
anderen. Es ging aber alles gut und so erblickten zwei süße Babys das Licht der
Welt und eines davon war ich.“
„Bestimmt ist
dein Papa anschließend zu dem netten Nachbarn mit dem Telefon gegangen und
hat alle angerufen und von dir erzählt, nicht wahr“.
„So stellst
du dir das vor. Doch der Rest unserer Familie hatte ja auch kein Telefon, weder
die Eltern meiner Mama, noch die meines Papas. Es konnte also niemand auf diese
Weise erreicht werden.“
„Ach du
Schreck, das war ja wie im Mittelalter.“
„Ja, das
könnte man fast meinen, doch ganz so alt bin ich nun auch wieder nicht“,
erwiderte Oma mit einer gespielten Entrüstung. Kathrin schämte sich ein kleines
bisschen. So hatte sie es gar nicht gemeint. Das wusste ihre Großmutter
natürlich.
„Wie haben die
anderen denn davon erfahren, dass du geboren warst? Haben deine Eltern Briefe
geschrieben?“
„Nein, sie
haben zunächst einmal ein Telegramm geschickt. Ein Brief war fast vier Tage
unterwegs, bis er endlich an seinem Ziel ankam und damals warteten die
Großeltern auch ungeduldig auf die Nachricht von der Geburt ihres Enkelkindes“.
„Sie haben
ein Telegramm geschickt“, sagst du. „Was ist das denn nun wieder?“
„Wenn etwas
ganz Besonderes geschehen war und eine wichtige Nachricht zu verschicken war,
gingen die Leute zum Postamt. Die Angesellten dort nahmen die Anschrift des
Empfängers auf und den Text der Nachricht. Der wurde mittels eines
Fernschreibers zum Postamt des Ortes geschickt, wo der Empfänger wohnte. Weil aber
jedes einzelne Wort bezahlt werden musste, fasste man sich besonders kurz. Also
nicht so wie heute bei deinem Onkel, der den Namen, die Größe, das Gewicht und
die Uhrzeit der Geburt mitgeteilt hat. Damals schrieben die Menschen im so
genannten Telegrammstil, was nichts anderes bedeutet, als dass man sich extrem
kurz fasste.“
„Lass mich
raten, was dein Papa geschrieben hat“, fiel Kathrin nun Oma ins Wort. „Kind
geboren, Mädchen.“
Oma lachte
laut auf. „Ja, so ähnlich wird es gewesen sein, doch ich vermute, den Namen
werden sie schon noch verraten haben.“
„Weißt du
Omi, ich finde es wirklich spannend, was du von früher erzählst, auch wenn ich
mir manches nicht so vorstellen kann. Wann haben deine Eltern denn überhaupt
ein Telefon bekommen?“
„Oh, da war ich
schon acht oder neun Jahre alt. Mein Vater bekam damals einen neuen
Arbeitsplatz und sollte rund um die Uhr erreichbar sein. Deshalb erhielten wir
ein Telefon. Doch wir durften immer nur ganz kurze Gespräche führen. Die waren
zum einen recht teuer, vor allen Dingen die Ferngespräche. Zum anderen durfte
der Anschluss nicht so lange besetzt sein, da es ja ein Diensttelefon war. Aber
trotzdem war es klasse, ein eigenes Telefon zu haben.“
„Und ab dann
kamen die anderen Nachbarn auch zu euch zum Telefonieren“, mutmaßte Kathrin.
„Nein, so war es nicht. Die Post stellte Telefonzellen
auf. Das waren kleine gelbe Häuschen, die an der Straße standen und in denen
ein Telefonapparat hing. Man warf dort Münzen ein und konnte so lange
telefonieren bis das Geld verbraucht war. Es gab aber in unserem kleinen Dorf
nur eine einzige Telefonzelle. Deshalb bildeten sich oftmals lange Schlangen
davor und jeder konnte das Gespräch, das geführt wurde, mithören.“
Wie auf
Kommando klingelte in dem Moment Omas Telefon.
„Wie gut, dass
wir jetzt alle ein Telefon haben und ein Handy, nicht wahr, Omi?“
Kathrin warf
ihrer Großmutter noch eine Kusshand zu und rief im Hinausgehen verschmitzt:
„Tschüß, und quatsch nicht wieder so lange!“
© Martina
Pfannenschmidt, 2015