Es war ruhig und still im Wald. Auf den Bäumen und
Tannen lag dick der Schnee. Manchmal sah man den Förster, der den Tieren etwas
zum Fressen brachte, denn sie fanden keine Nahrung mehr. Zu lange schon war der
Boden gefroren.
Das Eichhörnchen huschte aus seinem Kobel heraus
und scharrte das Laub an der Baumwurzel fort. Gott sei Dank fand es dort ein
paar Nüsse, die es im Herbst verbuddelte, denn es hatte mächtig Hunger. Die
Igel hielten ihren Winterschlaf. In ihren Höhlen war es gemütlich warm und zum
Fressen brauchten sie nichts – sie schliefen ja.
Ein paar Rehe standen an der Futterkrippe und
kauten genüsslich das Heu. Nur zwei kleine Schneehasen tollten umher.
Dann näherte sich der mächtige Hirsch dem
Geschehen.
„He“, rief er den Hasenkindern zu, „nun seid mal
etwas vorsichtiger. Wenn ihr so um unsere Beine saust, dann geraten wir noch ins
Stolpern.“
„Wir hören aber nicht auf“, rief der vorlaute
Felix.
„Na, na du frecher Kerl. Haben dir deine Eltern
nicht beigebracht, wie man sich benimmt?“
„Er meint es nicht so!“, rief Flocke. Er war der
Bruder von Felix und schämte sich oft für ihn.
„Klar hab ich das so gemeint“, sagte Felix
trotzig. „Wenn der Hirsch meint, er ist hier der Chef, dann hat er sich aber
getäuscht. Der hat mir gar nichts zu sagen.“
„Pass nur auf“, meinte der Hirsch zornig, „oft
folgt die Strafe auf dem Fuße.“
„Welche Strafe auf welchem Fuße?“, lachte Felix
übermütig.
Die Rehe schüttelten nur mit dem Kopf. Noch nie
hatten sie einen solchen Frechdachs erlebt.
Dann trieb es Felix es auf die Spitze.
„Du, alter Mann“, fragte er den Hirsch, „wollen
wir ein Wettrennen veranstalten?“
„Felix“, rief Flocke, „hör jetzt auf.“
Der Hirsch reagierte gar nicht auf den kleinen
Schneehasen, der ihn provozieren wollte.
„Schaut nur, was ich kann“, rief Felix den anderen
zu.
Zum Zeichen, was für ein toller Kerl er war,
vollführte dieser mächtige Sprünge.
„Ja, ja, du bist ein toller Kerl“, sagte das Reh.
„Und jetzt wäre es uns lieb, wenn ihr an einem anderen Ort spielen könntet.“
„Geht ihr doch weg, wenn es euch nicht passt. Wir
bleiben hier“, sagte Felix patzig.
In dem Moment machte er einen mächtigen Sprung und
übersah dabei die dicke Baumwurzel, die völlig vereist unter dem Schnee lag. Er
landete so unglücklich mit der rechten Pfote auf ihr, dass sie gebrochen war.
„Au“,
schrie Felix, „dass tut so verflixt weh.“
„Hab ich es dir nicht gesagt“, schimpfte der
Hirsch. „Wer nicht hören will, muss fühlen. Das hast du jetzt von deiner großen
Klappe.“
Doch Felix hatte gar keine große Klappe mehr. Ganz
im Gegenteil. Dicke Tränen kullerten aus seinen Augen, denn seine Pfote
schmerzte ziemlich stark.
„Was machen wir denn jetzt nur?“, fragte Flocke
panisch. „Wir können Felix doch nicht einfach hier liegen lassen. Dann erfriert
er doch.“
„Wo sind denn eure Eltern?“, fragte das Reh. „Hol
deine Mama, damit sie ihm hilft.“
„Unsere Eltern leben nicht mehr“, weinte Flocke,
„und wenn mein Bruder jetzt auch noch stirbt, dann bin ich ganz alleine auf der
Welt.“
„Lasst uns überlegen, was zu tun ist“, lenkte der
Hirsch nun ein, denn die beiden kleinen Hasenkinder taten ihm nun doch leid.
„Mir ist so kalt und mein Bein schmerzt ganz
doll“, jammerte Felix.
„Tragt Laub zusammen“, ordnete der Hirsch an, „wir
wollen den Kleinen damit bedecken, sonst erfriert er uns.“
Sofort liefen alle auseinander, scharrten den
Schnee beiseite und sammelten Laub. Bald lag Felix jammernd unter einem dicken
Laubhaufen.
„Das Bein muss geschient werden“, meinte das Reh.
„Der Hase braucht einen Arzt.“
„Aber wie soll das gehen?“, fragte der Hirsch.
Vielleicht kann ich euch helfen“, schlug das
Eichhörnchen vor.
„Und wie?“, fragte das Reh.
„Ich könnte zum Haus des Försters laufen“,
antwortete das Eichhörnchen, „sein Sohn spricht mit den Tieren im Wald. Dann
könnte der Junge seinem Vater von Felix erzählen.“
„Weißt du denn, wo der Förster wohnt?“, fragte
Flocke.
„Er wohnt in einem Haus am Waldrand. Aber es ist
ein ganz schön weiter Weg bis dort hin. Alleine möchte ich nicht gehen.“
„Dann komme ich mit“, sagte Flocke sofort und an
seinen Bruder gerichtet. „Felix hörst du, wir holen Hilfe.“
„Ja“, jammerte Felix. „Bitte lauft so schnell ihr
könnt.“
Sogleich machten sich die beiden auf den Weg.
Völlig erschöpft erreichten sie nach einiger Zeit ihr Ziel. Inzwischen war es
dunkel geworden, doch man sah Licht hinter einem Fenster.
Schnell sprang das Eichhörnchen auf die
Fensterbank und sah in den Raum hinein.
„Der Junge sitzt vor dem Fernseher“, rief das
Eichhörnchen. „Ich werde jetzt an die Scheibe zu klopfen. Vielleicht hört er
uns.“
„Ist gut“, meinte Flocke, „hoffentlich klappt es.“
Das Eichhörnchen klopfte so laut es konnte, doch
der Junge hörte ihn nicht. Der Fernseher war einfach zu laut.
„Wir müssen Kieselsteinchen suchen“, rief das
Eichhörnchen. „Wenn ich die gegen die Scheibe werfe, dann hört er mich
vielleicht.“
Es klappte tatsächlich. Der Junge drehte sich zum
Fenster um und kam dann nach draußen.
„Hallo“, rief er, „was macht ihr denn hier?“
„Du musst uns helfen“, sagte Flocke aufgeregt.
„Mein Bruder hat sich die Pfote gebrochen. Er liegt im Wald bei der
Futterkrippe und hat ganz furchtbare Schmerzen. Er muss dringend zu einem
Tierarzt gebracht werden.“
„Ach herrje, dass ist ja eine Katastrophe“, rief
der Junge. „Ich werde es gleich meinem Vater erzählen. Dann fahren wir in den
Wald. An der Futterkrippe liegt er, sagt ihr.“
„Ja, an der Futterkrippe unter einem Laubhaufen.“
„Wollt ihr mit uns fahren?“, fragte der Junge.
Das Eichhörnchen und der Schneehase sahen sich an.
Sie hatten Angst, in diese dröhnende Blechdose, die die Menschen Auto nennen,
einzusteigen. Doch ihre Beinchen waren eine so lange Strecke gelaufen, dass die
zwei doch einwilligten. Es war sehr bequem und schön warm in der Blechkiste.
Nach einiger Zeit trafen sie an der Futterkrippe
ein. Sofort liefen die Rehe und der Hirsch fort. Sie versteckten sich im
Unterholz, um die Rettungsaktion zu beobachten.
„Ach du armer kleiner Kerl“, sagte der Förster und
nahm Felix auf seinen Arm. „Komm her, ich bringe dich zu einem Tierarzt.“
„Aber dann muss Flocke auch mitkommen“, sagte der
Junge, „die Eltern der beiden leben nicht mehr und er wäre ganz allein.“
„Selbstverständlich nehmen wir ihn auch mit.“
So wurde Felix gerettet. Die beiden Schneehasen
verbrachten den ganzen Winter beim Förster und seiner Familie. Als das Frühjahr
kam, war die Pfote des kleinen Schneehasen wieder verheilt. Deshalb
verabschiedeten sie sich von den Menschen und gingen zurück in ihren geliebten
Wald.
Felix war nach diesem Geschehen wie ausgewechselt.
Niemals wieder war er so frech und aufsässig wie an dem Tag, als er den Unfall
erlitt.
© Martina Pfannenschmidt, 2014