„Puh“, rief Kathrin aus, „jetzt muss ich zuerst einmal tief durchatmen“.
Oma und Kathrins Mutter sahen sich fragend an, während sie auf weitere
Ausführungen warteten.
„Ihr hättet die Schwester von Maren sehen sollen“, erklärte Kathrin, „die
hatte sich vielleicht aufgetakelt. Ihre Haare waren verstrubbelt und standen in
alle Himmelsrichtungen ab. Ihr Gesicht sah aus, wie das eines Clowns aus dem
Zirkus und ihre Fingernägel hatte sie sich grün lackiert! Und erst ihre
Kleidung!“
Mama interessierte, wohin Marens Schwester in dem Aufzug wollte.
„Zu einem Konzert. Die Frage ist nur, ob die
Gruppe wirklich auftritt. Es könnte nämlich sein, dass sie schreiend die Bühne verlassen, wenn sie Marens Schwester zu Gesicht bekommen“,
mutmaßte Kathrin.
So würde sie niemals das Haus verlassen, stand für sie fest.
„Und wisst ihr, was das Allerschlimmste an der ganzen Sache war?“
„Nein“, antworteten Oma und Mama fast gleichzeitig.
„Dieser furchtbare Geruch. Ihr könnt euch gar nicht
vorstellen wie ihr Parfum müffelte¹. Ein Stinktier ist nichts dagegen.“
„Kathrin, nun langt es aber“, empörte sich Mama.
„Ist aber wahr! Ihr habt sie ja nicht gesehen und auch nicht gerochen, sonst
könntet ihr mich verstehen“, rechtfertigte sich Kathrin.
„Ich denke“, lenkte Oma ein, „wir können es
uns sehr gut vorstellen, wie sie aussah und auch, wie sie roch. Gut, dass sie
zu einem Konzert wollte und nicht zu einem Vorstellungsgespräch.“
„Da hast du recht“, stimmte Kathrins Mutter zu. „Bei einem
Vorstellungsgespräch sollte man sehr auf sein Aussehen achten.“
„Nicht nur darauf, auch auf den Geruch. Er beeinflusst das Verhalten
unseres Gegenübers mehr, als wir vielleicht vermuten.“
„Wie meinst du das?“, wollte Kathrin wissen.
„Ich habe einmal gelesen, dass Gerüche unsere Entscheidungen und
Handlungen beeinflussen. Wir gehen zwar mit offenen Augen und Ohren durch die
Welt, doch wie wichtig dabei auch der Geruchssinn ist, das ist uns oft gar
nicht bewusst.“
„Wenn Papa abends nach der Arbeit seine Schuhe auszieht“, lästerte
Kathrin, „ist mir der Geruch sogar sehr bewusst.“
Oma überhörte dies geflissentlich.
„Was geschieht“, fragte sie stattdessen, „wenn du ein Bahnabteil
betrittst oder zum Beispiel das Wartezimmer eines Arztes?“
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich schaue ich mich zuerst einmal um.“
„Okay, aber du wirst unbewusst noch mehr tun. Nicht nur deine Augen
sehen sich um, sondern auch deine Nase riecht herum. Und wenn ihr nicht gefällt
was sie riecht, wirst du dich in diesem
Raum nicht wohl fühlen, selbst wenn die Einrichtung deinem Geschmack
entspricht. Und ein Chef wird niemals eine Person einstellen, wenn ihm der
Geruch dieses Menschen nicht gefällt.“
„Echt, Oma, ist das so?“
„Man munkelt sogar“, führte Oma weiter aus, „dass einige Firmen den
Geruchssinn nutzen, um Käufer an sich zu binden. So wird Schuhen zum Beispiel
ein bestimmter Geruch beigemischt. Hattest du als Kind Schuhe dieses
Herstellers, greifst du als Erwachsener unbewusst auch zu dieser Marke, weil dir
der Geruch bekannt vorkommt. Unser Geruchsverhalten verändert sich allerdings im
Laufe unseres Lebens. Kleine Kinder ekeln sich noch gar nicht vor manchen
Gerüchen. Das bringen wir Erwachsenen ihnen erst bei indem wir sagen: Bah das
stinkt, leg es weg.“
„Heute finde ich vieles auch viel ekliger als früher, als ich noch klein
war“, bestätigte Kathrin.
„Unser Geruchssinn hilft uns übrigens auch dabei, den richtigen Partner
zu finden“, wusste Oma. „Wir sagen doch manchmal, dass wir ‚jemanden nicht
riechen können’. Das meinen wir zwar eigentlich im übertragenen Sinn, doch es
ist viel Wahres daran. Wir mögen den Geruch mancher Menschen nicht und können
sie demnach ‚nicht riechen’. Doch den Partner, den du dir aussuchen wirst, den
wirst du gut riechen können. Sehr gut sogar“, prophezeite Oma.
Kathrins Gesicht überzog nach diesen Worten eine leichte Röte und sie verschwand
unter einem Vorwand blitzschnell aus der Küche.
„Na, wenn es da mal nicht jemanden gibt, den sie gut riechen kann“,
vermutete ihre Mutter.
© Martina Pfannenschmidt, 2015
Erklärung
des ostwestfälischen Ausdrucks
müffeln¹
= stinken