Oma saß
alleine auf der Terrasse und betrachtete ehrfürchtig die Abendröte, die sich am Horizont zeigte.
Sie dachte zurück an die Zeit, als ihr Mann noch bei ihr war und an die
herrlichen Sonnenuntergänge, die sie gemeinsam genossen.
Am Schönsten
waren die, die sie am Meer erleben durften. Beeindruckend war es, wenn der Feuerplanet glutrot
im Meer versank und sich die Farben, die sich dabei am Himmel zeigten, im
Wasser spiegelten. Wie viele Abenddämmerungen sie wohl noch erleben dürfte,
fragte sie sich an diesem lauen Sommerabend.
Als sie noch
jung war, hatte sie über diese Dinge gar nicht nachgedacht. Der Tod war noch so
weit entfernt und damit auch der Gedanke daran. Doch heute war ihr Haar grau und im
Gesicht zeigten sich viele Falten. Jede einzelne von ihnen hätte eine
Geschichte zu erzählen gewusst.
Manchmal war
sie schon ein wenig traurig, weil ihr Walter nicht mehr
bei ihr war. Doch sie wollte nicht undankbar sein. Sie hatte ein schönes Leben
– auch jetzt noch im Alter und ihnen beiden waren viele wundervolle gemeinsame
Jahre vergönnt gewesen.
Doch manchmal
kamen melancholische Gedanken über sie, wenn sie an ihren Ehemann dachte. Wo er
jetzt wohl war?
Vielleicht
war es dort sehr schön und er dachte gar nicht mehr an sie. Eventuell konnte
man sich aber auch nicht mehr an das Leben auf der Erde zurück erinnern. Alles
war möglich.
Oma konnte
sich aber keinesfalls vorstellen, dass alles einfach so vorüber war. Da gab es
ja noch die Seele. Doch wohin sie ging, wenn der Körper nicht mehr lebensfähig
war, blieb ein großes Mysterium.
Ob ihr Mann
auf der anderen Seite auf sie wartete? So viele Fragen, die ihr niemand
beantworten konnte.
Sie hatten
sich sehr geliebt und der Gedanke daran, wieder zusammen zu sein, zauberte ein
Lächeln auf ihr Gesicht.
Bestimmt
hätte Walter auch gerne sein Enkelkind noch weiter aufwachsen sehen, so wie es
ihr vergönnt war.
Oma wusste,
auch sie würde irgendwann ihre Familie zurücklassen müssen. Das würde ihr
sicherlich schwer fallen.
Seinen Körper
abzulegen, der alt und gebrechlich war, um irgendwo ohne diesen weiterleben zu
können, war zwar unvorstellbar doch bestimmt befreiend.
Sie glaubte
ganz fest an ein Weiterleben nach dem Tod. Nicht, weil die Denkweise tröstlich
war, sondern weil das ganze Leben für sie sonst einfach keinen Sinn machte.
Würde der
Mensch nur ein einziges Mal leben, hätte der eine der gesund und reich war,
eben einfach nur ‚Glück’ gehabt und der andere, der krank, vielleicht behindert
oder arm war, eben einfach nur ‚Pech’. So simpel konnte es nicht sein. Das
hatte das Leben sie gelehrt.
Oma konnte
nicht glauben, dass es einfach Zufall oder Schicksal war, was wir hier
erlebten. Sie glaubte vielmehr, alles habe einen Sinn.
Die Seele, so
konnte sie sich vorstellen, hatte sich diesen Körper zugelegt, um hier auf der
Erde Aufgaben zu erfüllen und Erfahrungen zu sammeln. Diese Aufgaben zu finden
und den Weg zu gehen, musste der Sinn des Lebens sein. Vielleicht kam nach dem
Tod die Auswertung des Ganzen.
Sie konnte
sich vorstellen, dass das Leben noch einmal an einem vorüber zog, quasi im
Schnelldurchlauf, um zu erkennen, was man falsch oder auch richtig gemacht
hatte in seinem Leben.
Vielleicht
empfand man dabei die Gefühle der Menschen, die man mit Worten oder auch Taten
verletzt hatte.
Möglicherweise
musste man in einem nächsten Leben diese Fehler noch einmal durchleben, und
erhielt so die Möglichkeit, es besser zu machen.
Bestimmt hatte auch sie in ihrem jetzigen
Leben wieder Fehler gemacht, die sie in einem nächsten Leben beheben könnte.
Wenn es so
war, gäbe es ein immerwährendes Leben und wieder Sterben, bis alle Aufgaben
erfüllt waren und die Seele einen anderen, besseren Ort zum Leben suchen durfte.
Dies alles, um letztendlich den Zustand zu erreichen, den die Menschen als
Himmel bezeichneten.
Oma sah zum
selbigen hinauf: Langsam zeigten sich die ersten Sterne. Unendlich war das
Universum, einfach unendlich. Und der Mensch war ein winziger Teil dieses
großen Ganzen.
Im Vergleich
zur Größe des Universums war er vielleicht kleiner als ein Sandkorn am Meer und
doch empfand sich der Mensch als einzigartig und rechnete sich aus, das klügste
Wesen des gesamten Universums zu sein.
Ob ihr Walter
jetzt auf dem Stern dort oben lebte, der ihr gerade zugeblinzelt hatte? Den
Gedanken nahm sie mit hinein in ihre gute Stube, als sie zu frösteln begann.
© Martina
Pfannenschmidt, 2015