Tief unten im Bau der Dachse war es ziemlich
dunkel, denn kaum ein Sonnenstrahl gelangte dort hin.
Harry und Sally, das Dachsehepaar, bewohnten schon
seit einiger Zeit diesen Erdbau.
Sie beendeten vor kurzem ihre Winterruhe und
warteten in den kommenden Tagen auf ihren ersten Nachwuchs.
„Harry“, sagte Sally an diesem späten Nachmittag,
„ich glaube, jetzt dauert es nicht mehr lange, bis unsere Kinder geboren
werden.“
„Soll ich schon einmal loslaufen und nach einem Arzt
Ausschau halten?“, fragte ihr Mann aufgeregt.
„Aber Harry“, lachte die Dachsfrau ihn aus. „Ich
brauche dazu keinen Arzt. Unsere Kinder werden ganz natürlich zur Welt kommen,
wie alle anderen Tierbabys auch.“
„Ach so“, erwiderte der Dachsmann ein wenig
beleidigt. Er hatte es ja nur gut gemeint.
„Was denkst du, wollen wir zu Abend essen?“,
fragte er etwas später.
„Ich denke“, antwortete Sally ruhig, „es wird
besser sein, wenn du alleine gehst. Ich habe keinen Appetit. Vielleicht
später.“
„Und ich darf dich wirklich alleine lassen?“,
fragte der Dachs besorgt.
„Mach dir keine Sorgen“, antwortete Sally.
„Dann geh ich jetzt“, rief Harry und verschwand
Richtung Ausgang. Dort angekommen rannte er nicht sofort weiter, obwohl sein
Magen doch so laut knurrte, er ließ sich Zeit, sah sich ausgiebig um und
schnupperte, ob sich auch keine Feinde in der Nähe befanden.
Nach einer Weile verließ er dann die sichere Höhle
und ging auf Nahrungssuche. Mit seinen langen Krallen, die sich an seinen
Vorderfüßen befanden und mit denen er sogar in der Lage war, tiefe Höhlen zu
buddeln, scharrte er im Waldboden nach Nahrung.
Zuerst fand er einen Regenwurm. Anschließend
verspeiste er noch eine Schnecke. Weil er noch nicht satt war, aß er auch noch
leckere Beeren, die er an einem Strauch fand.
Als er satt war, lief er zurück zu seinem Bau.
Der Bau, in dem er und Sally wohnten, war über
mehrere lange Röhren zu erreichen und lag in einer Tiefe von über 4 m. Das war
ganz schön tief.
Harry wurde ganz unruhig, als er in die Nähe kam,
denn irgendetwas stimmte nicht. Er nahm einen Geruch wahr, den er nicht kannte.
Hoffentlich war alles in Ordnung mit Sally.
Als er die mit Blättern und Moosen ausgepolsterte
Höhle betrat, traute er seinen Augen kaum. Zwei kleine weiße Dachse lagen neben
Sally. Ganz alleine hatte seine tapfere kleine Frau ihre Kinder zur Welt
gebracht. Harry war gerührt.
„Sally, meine Liebe“, sagte er. „Das sind die
prachtvollsten Kinder, die ich jemals gesehen habe.“
„Nicht wahr, sie sind wunderhübsch“, antwortete
Sally voller Stolz.
Harry kam näher und beschnupperte die Kleinen.
„Es sind zwei Jungs“, sagte Sally. „Wir müssen
ihnen noch Namen geben.“
„Was hältst du davon“, schlug Harry vor, „wenn wir
sie Max und Moritz nennen.“
„So machen wir es“, antwortete Sally. „Die Namen
gefallen mir wirklich gut.“
Die Dachseltern waren den ganzen Sommer über mit
der Aufzucht ihrer Kinder beschäftigt.
Heute wurden Max und Moritz von ihrem Vater
unterrichtet, denn auch Dachskinder müssen viel lernen.
„Wisst ihr, Kinder“, meinte Papa Dachs, „so ein
Dachsbau, wie der, in dem wir leben, kann über viele, viele Jahre benutzt
werden. Jede Generation dehnt ihn weiter aus und fügt weitere Wohnkammern
hinzu. Man erzählt sich, dass es in England einen Dachsbau gibt, der sagenhaft
viele Kammern umfasst und noch mehr Eingänge hat als unsere Erdhöhle. Und alle
sind mit ganz, ganz vielen Tunneln miteinander verbunden“.
„Ui“, rief Max, „da müssen wir aber noch ganz viel
buddeln, bis unser Erdbau auch so groß ist“.
„Da hast du Recht“, sagte Papa.
Harry und Sally waren heute bei Freunden zum
Geburtstag eingeladen. Die Kinder wollten sie nicht begleiten, sondern lieber
in der Höhe bleiben und dort spielen.
„Nun gut“, sagte Sally. „Wir werden nicht lange
fort bleiben. Ihr müsst mir aber versprechen, hier unten in der sicheren Höhle
zu bleiben und sie nicht zu verlassen. Das ist viel zu gefährlich. Hört ihr?“
„Ja, Mama!“, riefen Max und Moritz. „Wir bleiben
hier unten. Versprochen.“
„Dann gehen wir jetzt“, meinte Sally. „Bis
gleich.“
„Tschüß Mama, Tschüß Papa“, riefen die beiden
Kinder ihren Eltern nach.
Dann verbrachten die zwei eine ganze Zeit in der
Höhle, bis es ihnen langweilig wurde.
„Komm Moritz“, forderte Max seinen Bruder auf.
„Lass uns einmal oben schauen, ob es etwas zu entdecken gibt.“
Flugs machten sie sich durch einen Gang auf den
Weg Richtung Ausgang. Sie blieben dort eine Weile stehen, sahen sich um und
schnupperten, so, wie es ihre Eltern ihnen beigebracht hatten.
„Schau nur, Max“, rief Moritz. „Was ist das denn
dort an dem Baum? Da haben die Menschen doch wieder etwas achtlos im Wald
entsorgt. Wollen wir es uns einmal aus der Nähe anschauen?“
„Aber wir dürfen doch den Bau nicht verlassen. Wir
haben es unserer Mutter versprochen“, mahnte Max seinen Bruder.
„Aber schau, dass ist doch gar nicht weit. Wenn
Gefahr droht, dann können wir ganz schnell zurücklaufen“, meinte er.
Die Neugier war groß, denn das, was sie sahen,
funkelte im Schein des Vollmondes.
Als die zwei näher kamen, schraken sie zurück. Wer
waren denn die beiden, die ihnen direkt in ihre kleinen schwarzen Augen
blickten. Das waren ja auch Dachse. Vorsichtig näherten sie sich. Sie
betrachteten das eigenartige Ding, das dort am Baum gelehnt stand von allen
Seiten und schnüffelten daran. Also - nach Dachs roch es nicht.
„Das verstehe ich nicht“, meinte Max. „Wenn ich
hier vorne stehe, dann sehe ich einen Dachs, der genau aussieht, wie ich. Das
Fell ist grau der Bauch ist schwarz und das Gesicht ist schwarz-weiß gestreift.
Doch wenn ich dann zur Seite trete, dann ist er fort. Das ist komisch, oder?“
Das, was dort am Baum stand, nennen die Menschen
Spiegel. Was ein Spiegel ist, dass wussten Max und Moritz nicht und das sie es
selbst waren, die sich spiegelten, dass wussten sie natürlich auch nicht.
Moritz wurde wütend. „He, du komisches Ding“, rief
er. „Was machst du hier. Warte nur, ich schups dich gleich.“
Dann nahm er seinen Vorderfuß und stieß den
Spiegel an, so dass er umfiel – direkt auf einen Stein. Nun lagen ganz viele
Glasscherben auf dem Waldboden.
„Ach herrje“, rief Max besorgt. „Was hast du nur
gemacht?“
Moritz wurde ganz blass um die Nase.
„Wenn Mama und Papa das sehen, dann ahnen sie
sofort, dass wir nicht auf sie gehört und die Höhle verlassen haben. Was machen
wir jetzt nur?“
„Lass mich einmal überlegen. Mir wird schon etwas
einfallen. - Aber dass ist doch ganz einfach“, rief Moritz dann aus. „Wir
sammeln die kleinen Stückchen ein und bringen sie von hier fort. Dann bemerken
unsere Eltern nichts.“
Das war eine gute Idee. Schnell nahm sich jeder
eine Scherbe und schon war es passiert. Max und Moritz heulten laut auf, denn
sie hatten sich an den Glasscherben geschnitten.
„O je, meine Pfote, sie blutet“, rief Max. „Meine
Pfote blutet auch“, rief Moritz. „Wir haben uns an dem komischen Ding
verletzt.“
„Wir müssen schnell zurück in unseren Bau“,
jammerte Max. „Auweia, das gibt Ärger.“
Beide gingen humpelnd Richtung Bau, als sie ihre
Mutter aus der Ferne rufen hörten: „Was macht ihr zwei denn hier draußen? Wir
hatten doch gesagt, ihr sollt im Erdbau bleiben.“
Als Harry und Sally näher kamen, weinten ihre
beiden Jungs bitterlich. Dann sahen die Eltern die Bescherung. Alle Vier gingen
zurück in die Höhle. Sally holte für ihre Dachskinder ein Pflaster und während
sie es aufklebte, erklärte sie ihnen, wie wichtig es ist, immer sehr vorsichtig
und aufmerksam zu sein.
„Vielleicht war euch das heute eine Lehre“, meinte
Mama „und ihr hört beim nächsten Mal auf das, was wir euch sagen.“
Max und Moritz nickten.
Dann erzählte sie ihren beiden Jungs eine
Geschichte. Sie handelte von zwei kleinen Dachsen, die nicht auf ihre Eltern
hörten und von Menschen, die achtlos ihren Müll im Wald entsorgen.
© Martina Pfannenschmidt, 2014