Freitag, 10. November 2017

Ein schwarzer Tag

Philipp befand sich auf dem Rückweg zu seiner Wohnung und fühlte sich miserabel. Gerade hatte seine Freundin mit ihm Schluss gemacht. Klar hatte er bemerkt, dass es zwischen ihnen nicht mehr so lief, wie zu Beginn ihrer Beziehung. Vielleicht lag es auch an der räumlichen Distanz. Doch er hatte gehofft, dass es nur eine Phase sei und sie es schaffen würden, wieder zueinander zu finden. Nun hatte sie ihm eröffnet, dass es einen anderen Mann gab. Er sei ganz plötzlich in ihr Leben getreten und sie habe sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Ihn, Philipp, hatte sie gerade eiskalt abserviert und so fühlte er sich auch.
Mit dieser Situation musste er jetzt erst einmal klar kommen. Den Gedanken, ab jetzt wieder an jedem Wochenende mit den Kumpels in irgendwelchen Kneipen oder Diskotheken abzuhängen in der Hoffnung, irgendwo und irgendwann eine neue Liebe zu finden, fand er einfach grauslich.
„Dass darf nicht wahr sein“, rief Philipp. Die Verkehrszeichen waren eindeutig. Die Strecke, die er befahren wollte, war gesperrt. Er hatte die Meldung im Radio und die frühzeitigen Hinweisschilder gar nicht wahrgenommen. Es blieb ihm sowieso nichts anderes übrig, als die ausgeschilderte Umleitung zu nehmen. Im selben Moment drängelte sich ein Fahrzeug an ihm vorbei. Philipp zeigte dem Fahrer einen Vogel. Was brachte ihm das, außer der Gefahr einen Unfall zu verursachen.
Die Umleitungsstrecke war sehr voll und nicht nur das, der blaue Himmel über ihm war verschwunden. Es wurde immer dunkler. Irgendwie passte dieses Grau zu seiner Stimmung. Philipp drehte das Autoradio lauter. Es gab eine erneute Verkehrsmeldung, die er nicht überhören wollte. Keine Minute später stand er – wie hundert andere auch. Wegen eines Unfalls kam es zu einer Vollsperrung auf der Umleitungsstrecke. Nichts ging mehr. Er hätte am liebsten vor lauter Frust ins Lenkrad gebissen. Was würde wohl noch kommen an diesem schwarzen Tag? Er stieg aus. Weit und breit war nichts zu sehen, außen Blech, genervte Menschen und Blaulicht in der Ferne. Das konnte dauern und er hatte nicht einmal Mineralwasser dabei.
„Philipp?!“
Er reagierte nicht darauf. Er konnte ja auf keinen Fall gemeint sein.
„Philipp Schuster?!“, rief jemand noch lauter als zuvor.
Jetzt war ihm klar, dass er doch gemeint sein musste und sah sich suchend um.
Eine Frau winkte und kam auf ihn zu. Das war ihm ein bisschen peinlich. Und vor allen Dingen: Wer war das?
„Ich hab’s gleich gewusst!“, polterte die Person drauf los. „Du bist es! Das Kennzeichen mit deinen Initialen hat dich verraten. Erkennst du mich denn gar nicht?“
Es war ihm ein bisschen unangenehm, doch er erkannte die Frau wirklich nicht.
„Mensch, ich bin’s, das Mondgesicht!“, lachte sein Gegenüber schrill. Philipp war nicht besonders gläubig, doch in diesem Moment bat er den Himmel, die Erde möge sich auftun, damit er darin verschwinden könne. Simone, das Mondgesicht! Er hatte sie schon zu Schulzeiten gehasst. Womit hatte er das verdient? Ohne Punkt und Komma erzählte sie von ihrem Leben. Was ihr seit dem Schulabschluss alles widerfahren war und wie viel Beziehungen sie gehabt hatte und dann kam sie die Frage, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte: „Gibt es jemanden an deiner Seite?“
Gerade als er dies bestätigen wollte, um keine falschen Hoffnungen bei seinem Gegenüben zu wecken, stand plötzlich eine sehr attraktive dunkelhaarige Frau neben ihm.
„Schatz, willst du mich gar nicht vorstellen?“, fragte sie ihn.
Wie bitte? Wer war das nun wieder und was sollte das? Diese Frau kannte er definitiv nicht. An sie hätte er sich erinnern können.
Die Dunkelhaarige reichte dem Mondgesicht die Hand. „Ich bin Ramona, seine Lebensgefährtin.“
Was? Philipp verstand nur Bahnhof.
„Schatz“, wiederholte sie, „ich störe eure Zweisamkeit nur ungern, aber schau nach oben, es wird bald wie aus Eimern schütten. Komm lieber zurück ins Auto. Da sind wir vor dem Regen sicher.“
„Tschüß“, rief die Dunkelhaarige dem Mondgesicht zu. „Es war nett, dich zu treffen. Aber jetzt bringen wir uns besser in Sicherheit.“
Ramona schob den verdatterten Philipp auf den Fahrersitz seines Autos, rannte elegant um sein Fahrzeug herum und setzte sich auf den Beifahrersitz. Sie lachte so laut, dass es das Mondgesicht sicher noch hören konnte.
„Wer sind Sie?“, fragte Philipp.
„Ihre Lebensretterin“, scherzte Ramona. „Wenn ich mich nicht ganz täusche, so haben Sie eben gerade sehr laut um Hilfe gerufen und ich habe diesen Ruf erhört.“
„Wie bitte?“
„Schauen Sie“, erklärte Ramona, „ich saß die ganze Zeit in meinem Auto direkt neben Ihrem und habe Sie beobachtet und ob ich nun wollte oder nicht, ich wurde Zeuge ihres Gespräches mit dieser Dame, die sie wohl aus Schulzeiten kennen. Und weil Sie so  unglaublich unglücklich dabei aussahen, dachte ich mir, ich greife mal ein.“
„Danke!“, erwiderte Philipp, bei dem jetzt so langsam der Groschen fiel. „Ich hatte heute einen echt beschissenen Tag, wenn ich das mal so sagen darf und diese Simone war wirklich das Letzte, was ich heute noch gebrauchen konnte. Sie haben mich gerettet. Danke noch mal!“
„Haben Sie Hunger oder Durst?“, fragte Ramona.
„Wenn ich ehrlich bin: Ja!“
„Warten Sie einen Augenblick!“ Schon war die Schönheit verschwunden, um nach kurzer Zeit mit einer Kühltasche voll mit den tollsten Leckereien zurück zu kommen. „Von meiner Mutter“, erklärte sie. „Wenn ich sie besuche, bekomme ich immer ein Carepaket mit nach Hause. Sie hat Angst, dass ich sonst verhungere.“
Geschlagene zwei Stunden standen sie noch an Ort und Stelle und waren für diesen Stau sehr dankbar. Ohne diese Hindernisse hätten sie sich wohl niemals kennen und lieben gelernt und was wäre dann aus den Schmetterlingen geworden, die sich bei ihnen beiden bemerkbar machten?!


© Martina Pfannenschmidt, 2015