Philipp
befand sich auf dem Rückweg zu seiner Wohnung und fühlte sich miserabel. Gerade
hatte seine Freundin mit ihm Schluss gemacht. Klar hatte er bemerkt, dass es
zwischen ihnen nicht mehr so lief, wie zu Beginn ihrer Beziehung. Vielleicht
lag es auch an der räumlichen Distanz. Doch er hatte gehofft, dass es nur eine
Phase sei und sie es schaffen würden, wieder zueinander zu finden. Nun hatte
sie ihm eröffnet, dass es einen anderen Mann gab. Er sei ganz plötzlich in ihr
Leben getreten und sie habe sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Ihn, Philipp,
hatte sie gerade eiskalt abserviert und so fühlte er sich auch.
Mit
dieser Situation musste er jetzt erst einmal klar kommen. Den Gedanken, ab
jetzt wieder an jedem Wochenende mit den Kumpels in irgendwelchen Kneipen oder
Diskotheken abzuhängen in der Hoffnung, irgendwo und irgendwann eine neue Liebe
zu finden, fand er einfach grauslich.
„Dass
darf nicht wahr sein“, rief Philipp. Die Verkehrszeichen waren eindeutig. Die
Strecke, die er befahren wollte, war gesperrt. Er hatte die Meldung im Radio
und die frühzeitigen Hinweisschilder gar nicht wahrgenommen. Es blieb ihm sowieso
nichts anderes übrig, als die ausgeschilderte Umleitung zu nehmen. Im selben Moment drängelte sich ein Fahrzeug an ihm vorbei. Philipp zeigte dem
Fahrer einen Vogel. Was brachte ihm das, außer der Gefahr einen Unfall zu
verursachen.
Die
Umleitungsstrecke war sehr voll und nicht nur das, der blaue Himmel über ihm war verschwunden. Es wurde immer dunkler.
Irgendwie passte dieses Grau zu seiner Stimmung. Philipp drehte das Autoradio
lauter. Es gab eine erneute Verkehrsmeldung, die er nicht überhören wollte.
Keine Minute später stand er – wie hundert andere auch. Wegen eines Unfalls kam
es zu einer Vollsperrung auf der Umleitungsstrecke. Nichts ging mehr. Er hätte
am liebsten vor lauter Frust ins Lenkrad gebissen. Was würde wohl noch kommen
an diesem schwarzen Tag? Er stieg aus. Weit und breit war nichts zu sehen,
außen Blech, genervte Menschen und Blaulicht in der Ferne. Das konnte dauern
und er hatte nicht einmal Mineralwasser dabei.
„Philipp?!“
Er
reagierte nicht darauf. Er konnte ja auf keinen Fall gemeint sein.
„Philipp
Schuster?!“, rief jemand noch lauter als zuvor.
Jetzt
war ihm klar, dass er doch gemeint sein musste und sah sich suchend um.
Eine
Frau winkte und kam auf ihn zu. Das war ihm ein bisschen peinlich. Und vor
allen Dingen: Wer war das?
„Ich
hab’s gleich gewusst!“, polterte die Person drauf los. „Du bist es! Das Kennzeichen
mit deinen Initialen hat dich verraten. Erkennst du mich denn gar nicht?“
Es
war ihm ein bisschen unangenehm, doch er erkannte die Frau wirklich nicht.
„Mensch,
ich bin’s, das Mondgesicht!“, lachte sein Gegenüber schrill. Philipp war nicht besonders
gläubig, doch in diesem Moment bat er den Himmel, die Erde möge sich auftun, damit
er darin verschwinden könne. Simone, das Mondgesicht! Er hatte sie schon zu
Schulzeiten gehasst. Womit hatte er das verdient? Ohne Punkt und Komma erzählte
sie von ihrem Leben. Was ihr seit dem Schulabschluss alles widerfahren war und
wie viel Beziehungen sie gehabt hatte und dann kam sie die Frage, auf die er
die ganze Zeit gewartet hatte: „Gibt es jemanden an deiner Seite?“
Gerade
als er dies bestätigen wollte, um keine falschen Hoffnungen bei seinem
Gegenüben zu wecken, stand plötzlich eine sehr attraktive dunkelhaarige Frau
neben ihm.
„Schatz,
willst du mich gar nicht vorstellen?“, fragte sie ihn.
Wie
bitte? Wer war das nun wieder und was sollte das? Diese Frau kannte er
definitiv nicht. An sie hätte er sich erinnern können.
Die
Dunkelhaarige reichte dem Mondgesicht die Hand. „Ich bin Ramona, seine
Lebensgefährtin.“
Was?
Philipp verstand nur Bahnhof.
„Schatz“,
wiederholte sie, „ich störe eure Zweisamkeit nur ungern, aber schau nach oben,
es wird bald wie aus Eimern schütten.
Komm lieber zurück ins Auto. Da sind wir vor dem Regen sicher.“
„Tschüß“,
rief die Dunkelhaarige dem Mondgesicht zu. „Es war nett, dich zu treffen. Aber
jetzt bringen wir uns besser in Sicherheit.“
Ramona
schob den verdatterten Philipp auf den Fahrersitz seines Autos, rannte elegant
um sein Fahrzeug herum und setzte sich auf den Beifahrersitz. Sie lachte so
laut, dass es das Mondgesicht sicher noch hören konnte.
„Wer
sind Sie?“, fragte Philipp.
„Ihre
Lebensretterin“, scherzte Ramona. „Wenn ich mich nicht ganz täusche, so haben Sie
eben gerade sehr laut um Hilfe gerufen und ich habe diesen Ruf erhört.“
„Wie
bitte?“
„Schauen
Sie“, erklärte Ramona, „ich saß die ganze Zeit in meinem Auto direkt neben
Ihrem und habe Sie beobachtet und ob ich nun wollte oder nicht, ich wurde Zeuge
ihres Gespräches mit dieser Dame, die sie wohl aus Schulzeiten kennen. Und weil
Sie so unglaublich unglücklich dabei
aussahen, dachte ich mir, ich greife mal ein.“
„Danke!“,
erwiderte Philipp, bei dem jetzt so langsam der Groschen fiel. „Ich hatte heute
einen echt beschissenen Tag, wenn ich das mal so sagen darf und diese Simone
war wirklich das Letzte, was ich heute noch gebrauchen konnte. Sie haben mich
gerettet. Danke noch mal!“
„Haben
Sie Hunger oder Durst?“, fragte Ramona.
„Wenn
ich ehrlich bin: Ja!“
„Warten
Sie einen Augenblick!“ Schon war die Schönheit verschwunden, um nach kurzer
Zeit mit einer Kühltasche voll mit den tollsten Leckereien zurück zu kommen.
„Von meiner Mutter“, erklärte sie. „Wenn ich sie besuche, bekomme ich immer ein
Carepaket mit nach Hause. Sie hat Angst, dass ich sonst verhungere.“
Geschlagene
zwei Stunden standen sie noch an Ort und Stelle und waren für diesen Stau sehr
dankbar. Ohne diese Hindernisse hätten sie sich wohl niemals kennen und lieben
gelernt und was wäre dann aus den Schmetterlingen
geworden, die sich bei ihnen beiden bemerkbar machten?!
©
Martina Pfannenschmidt, 2015