Donnerstag, 9. November 2017

Die Sache mit dem Aberglauben

Kathrin kam aus der Schule nach Hause und betrat die Küche. Mama sah sofort: Ihre Tochter hatte sich über etwas geärgert. Da war es wohl besser, sie zuerst einmal nicht zu fragen was los war.
Die Tür öffnete sich ein zweites Mal und Oma kam herein. Sie ahnte nichts von Kathrins Ärger und fragte wie so oft: „Hallo Kathrin, wie war es denn heute in der Schule?“
Kathrins Miene verfinsterte sich.
„Frag nicht!“
Oma merkte nun auch, dass es besser war, keine weiteren Fragen zu stellen.
Kurz darauf sprudelte es jedoch aus Kathrin heraus: „Die Maren, die spinnt! Echt! Sie hat in der Mathearbeit eine fünf bekommen und der Lehrer hat gesagt, sie habe zu viele Flüchtigkeitsfehler gemacht. Da hat sie behauptet, dass sei nicht ihre Schuld. An dem Morgen sei ihr eine schwarze Katze über den Weg gelaufen. Was hat denn die schwarze Katze mit Marens schlechter Zensur zu tun?“
„Wie ist denn deine Arbeit ausgefallen“, fragte Oma zunächst, bevor sie auf Kathrins Frage einging.
„Ausreichend“, maulte Kathrin.
„Hattest du mit einer besseren Note gerechnet?“
„Ich nicht“, schaltete sich Mama ungefragt ein. „Für eine bessere Note muss man sich vielleicht noch ein bisschen mehr auf den Hosenboden setzen.“
Jetzt war Kathrin richtig sauer. Das war gemein von Mama. Mit der würde sie heute kein Wort mehr sprechen.
„Was ist nun, Omi, was hat die schwarze Katze mit Marens schlechter Note zu tun? Das ist doch nur eine Ausrede, oder nicht?“
Oma schluckte kurz. Man merkte, Kathrin kam bald in die Pubertät.
„Das mit der schwarzen Katze ist reiner Aberglaube!“
„Und was ist das genau?“
„Der Begriff stammt aus dem Mittelalter und ist sozusagen das Gegenstück zu unserem christlichen Glauben. Damals hatte der Aberglaube seine Blütezeit. Von daher stammt auch die Annahme, dass eine schwarze Katze, die von links nach rechts über die Straße läuft oder gar stehen bleibt, Unglück verheißt.“
„Aber so eine Katze ist doch niedlich. Warum dachte man, sie bringt Unglück? Das verstehe ich nicht.“
„Ich auch nicht, Kathrin. In einigen Ländern, zum Beispiel in Ägypten, wurden die Katzen sogar ganz besonders verehrt. Man sah in ihnen heilige Wesen und baute ihnen zu Ehren Statuen.“
„Du sag mal, die Sache mit Freitag, dem 13., kommt die auch daher?“
„Ja genau!“
„Kennst du noch mehr so Sachen, also so Aberglaubensachen?“, fragte Kathrin.
„Ja, da gibt es einiges: Man darf nicht unter einer Leiter hindurch gehen, zum Beispiel!“
„Und warum nicht?“
„Der Grund dafür ist das Dreieck, das durch die Leiter, die Wand und den Boden gebildet wird. Dreiecke hatten eine heilige Bedeutung und ging man nun dort hindurch, verletzte man den heiligen Raum und zog damit das Unglück an.“
„Echt?“
Oma tat ziemlich geheimnisvoll als sie weiter sprach. „Eine Sache weiß ich noch, aber die ist ganz schön schauderhaft. Willst du sie trotzdem hören?“
„Ja klar!“
„Wenn ich von deiner Mathearbeit gewusst hätte, hätte ich vielleicht gesagt: ‚Kathrin, ich drücke dir die Daumen’!“
„Ja, das wäre gut gewesen!“
„Wenn uns aber immer bewusst wäre, woher diese Bräuche kommen“, entgegnete Oma, „würden wir sie vielleicht nicht verwenden. Pass auf, ich erzähle dir, was es damit auf sich hat. Früher ging man davon aus, dass die Körperteile von Menschen die man erhängt hatte, den Lebenden Glück bringen. Eine besondere Kraft wurde dabei den Daumen zugesprochen. Wer also den Daumen eines Gehängten bei sich trug, hatte angeblich besonders viel Glück.“
Kathrin war ganz blass geworden. So etwas glaubten die Menschen früher? Grauenhaft!
„Aber es gibt ja auch viele Glückssymbole“, lenkte Oma ein. „Sich denen zu widmen, ist doch viel schöner. Der Marienkäfer zum Beispiel ist so ein Glücksbringer. Man sagt über ihn, er sei der Bote der Gottesmutter Maria. Daher hat er ja auch seinen Namen. Oder denk an das Hufeisen. Da ein Pferd für Kraft und Stärke steht, gilt auch das Hufeisen als Glücksbringer.“
„Aber eigentlich ist das doch alles quatsch, oder nicht?“
„Ich denke, ja! Doch so schnell wird der Aberglaube, in welche Richtung er auch immer geht, wohl nicht aufhören.“
„Das glaube ich auch“, schaltete sich nun Mama wieder in das Gespräch ein. „Und eines ist auch klar, ein vierblättriges Kleeblatt in sein Mathebuch zu legen, ersetzt nicht das Lernen!“
Kathrin verdrehte ihre Augen, sagte aber nichts. Heute sprach sie ja nicht mehr mit Mama.


© Martina Pfannenschmidt, 2015