Lisa und Fritzi wohnten in einem kleinen Dorf in
den Bergen und kannten sich schon, solange sie denken konnten. Lisa war einen
Monat älter als Fritzi. Sie besuchten die gleiche Klasse und eine sah man
selten ohne die andere. Dicke Freundinnen halt.
Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie
sich von der Krippenspiel-Probe wieder auf dem Weg nach Hause befanden.
„Der Xaver, der hat heute aber viel gemeckert,
findest du nicht auch?“, fragte Lisa.
„Ja schon, aber es dauert ja auch nicht mehr lange
bis zur Aufführung und er will halt, dass alles perfekt abläuft“, meinte
Fritzi.
In diesem Jahr durfte Lisa den Part der Maria
übernehmen und Fritzi war auserkoren, der Engel zu sein.
„Du Lisa“, fragte Fritzi weiter, „denkst du, es
gibt wirklich Engel?“
„Na klar, gibt es Engel. Sie werden doch schon in
der Bibel erwähnt. Immer wieder wird dort von Engeln erzählt.“
„Aber eigentlich sind das doch nur Geschichten
oder meinst du nicht?“
„Was in der Bibel steht sind wahre Begebenheiten
und keine Geschichten, die sich ein Mensch einfach nur ausgedacht hat. Oder denkst
du, die Sache mit der Geburt von Jesus, die stimmt gar nicht?“
„Klar stimmt die, sonst würden wir ja nicht 2000
Jahre später immer noch davon erzählen und Weihnachten feiern.“
„Na siehst du und wenn die Sache mit Jesus stimmt,
dann gibt es auch Engel, denn von beiden berichtet die Bibel.“
„Ich kenne nur niemanden, der schon einmal einen
Engel gesehen hätte.“
„Das stimmt. - Einmal habe ich meine Mama gefragt,
ob sie glaubt, dass Engel wirklich Flügel haben und damit fliegen können.“
„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Fritzi
neugierig.
„Sie meinte, Engel bräuchten keine Flügel. Die
Menschen würden sie nur so darstellen, weil sie sich nicht vorstellen könnten,
dass es Engeln möglich ist, ohne Flügel zu uns auf die Erde zu kommen.“
„Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ohne
Flügel kann doch niemand fliegen.“
„Engel schon, glaube ich“, meinte Lisa.
„Weißt du, ich würde gerne einmal einen echten
Engel sehen.“
„Oh ja, ich auch!“
Die zwei kamen bei Lisa zuhause an.
„Kommst du noch kurz mit hinein?“, fragte sie.
Fritzi sah auf die Uhr.
„Ja, für eine halbe Stunde bleibe ich noch, aber
dann muss ich nach Hause, sonst gibt’s wieder Ärger.“
Die beiden betraten das Haus. Es roch
verführerisch gut.
„Kommt näher“, rief Lisas Mutter. „Ich habe
Bratäpfel gemacht.“
Eine kurze Zeit später saßen sie zu dritt am Tisch
und ließen sich die Äpfel schmecken.
„Ach“, meinte Lisas Mama, „jetzt hab ich ganz
vergessen, die Kerzen am Adventskranz anzuzünden. Dann wird es doch noch
gemütlicher.“
Schnell griff sie zu den Streichhölzern und
zündete zwei Kerzen an.
„Wisst ihr eigentlich“, fragte sie dann die beiden
Mädchen, „wer sich das mit dem Adventskranz hat einfallen lassen?“
„Nein“, meinte Fritzi. Auch Lisa schüttelte den
Kopf.
„Na, dann werde ich euch davon erzählen. Den Brauch,
in der Adventszeit einen Kranz aufzustellen, den gibt es noch gar nicht sooo
lange. Die Idee kam einem Pfarrer, der ein Waisenhaus leitete. Was ein
Waisenhaus ist, dass wisst ihr doch?“, fragte Mama.
„Ja“, sagte Fritzi, „dort leben Kinder, die kein Zuhause
mehr haben, weil die Eltern gestorben sind - oder so.“
„Ganz genau, Fritzi. Und genau wie noch heute,
warteten auch damals die Kinder ungeduldig auf das Weihnachtsfest. Und weil
sich kleine Kinder nicht vorstellen können, wie lange es noch dauert, bis der
Heilige Abend endlich da ist, ließ sich der Pfarrer die Sache mit dem
Adventskranz einfallen. Er nahm ein altes Kutsch-Rad und stellte 24 kleine rote
und außerdem noch 4 dicke weiße Kerzen darauf. Dieser Kerzenkranz wurde im
Waisenhaus aufgehängt und jeden Abend durfte ein anderes Kind eine Kerze
entzünden. Am Heiligabend brannten sie dann alle.“
„Aber wir haben heute nur noch 4 dicke Kerzen auf
dem Adventskranz“, meinte Lisa.
„Ja, wisst ihr, dieser erste Adventskranz war viel
zu groß, um ihn in einem Wohnzimmer aufzustellen und deshalb hat man ihn
verkleinert. Und weil auf so einem kleinen Kranz nicht ganz so viele Kerzen
Platz haben, beließ man es bei den vier dicken Kerzen für die 4
Adventssonntage.“
„Wisst ihr denn überhaupt, was das Wort ‚Advent’
bedeutet?“, fragte Lisas Mutter weiter.
Beide Kinder schüttelten den Kopf.
„Das Wort ‚Advent’ kommt aus der lateinischen
Sprache und heißt übersetzt ‚Ankunft’. Aber auf wessen Ankunft wir warten, das
wisst ihr?“
„Ja klar“, sagten beide, „auf die Ankunft Jesu.“
Dann läutete das Telefon. Fritzis Mutti rief an.
Fritzi hatte ganz die Zeit vergessen. Sie wurde schon zu Hause erwartet.
„Deine Mutter wartet sozusagen auf deine Ankunft“,
lachte Lisas Mutter. „Aber ich habe ihr schon gesagt, dass es meine Schuld ist,
dass du dich verspätest und sie deshalb nicht mit dir schimpfen soll.“
„Na dann bis morgen“, sagte Fritzi und huschte
schnell aus dem Haus.
Endlich war es so weit. Der Heiligabend war da. Im
Haus herrschte eine große Betriebsamkeit. Alles wollte noch hergerichtet sein.
Lisa half ihrem Vater, den Baum zu schmücken und Lisas Mutter bereitete das
Essen für den Heiligabend vor.
Lisa war mächtig aufgeregt. Das lag auch an ihrer
Rolle als Maria. Hoffentlich klappte es heute besser, als bei der Generalprobe.
„Wird schon werden“, meinte Lisas Mama.
Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt.
Der Weihnachtsbaum strahlte in seiner ganzen Pracht und selbst die kleinsten
Kinder wohnten dem Geschehen andächtig bei.
Fritzi war ein wunderschöner Engel mit ihrem
langen blonden Haar und dem goldenen Heiligenschein. Auf dem Rücken trug sie
zwei Flügel aus Pappe, die mit weißen Federn beklebt und an ihrem weißen Gewand
befestigt waren. Fritzi sprach mit ihrer piepsigen Stimme so ehrfurchtsvoll,
wie es ihr eben möglich war: „Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige
euch große Freude! - Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in
Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“
Geschafft – fehlerfrei! Auch die anderen Kinder
machten ihre Sache hervorragend und alle erhielten einen tosenden Applaus.
Nachdem die ganze Gemeinde voller Inbrunst ‚O du
fröhliche’ gesungen hatte, zog es die Kinder nach Hause. Endlich Bescherung! So
lange mussten sie darauf warten.
Die Eltern von Lisa und Fritzi blieben jedoch noch
eine Weile in der Kirche, um dort die aufgebaute alte Krippe zu betrachten.
Lisa und Fritzi warteten ungeduldig an der
Kirchentür, als Lisa plötzlich flüsterte: „Schau, Fritzi. Was ist das denn dort
für ein helles Licht?“
Wie gebannt starrten beide dort hin.
„Du, Lisa, ich glaub, das ist ein …“
„Fritzi, denkst du das gleiche wie ich?“
„Du, ich glaub, das ist ein Engel!“, flüsterte
Fritzi.
Dann sprach der Engel zu den Kindern.
„Ich habe mir euer Krippenspiel angesehen und
werde im Himmel davon berichten, wie beeindruckend ihr die Geburt des Herrn
dargestellt habt. Dann wird dort große Freude herrschen.“
Als die Eltern aus der Kirche kamen, war der Engel
bereits fort.
„Ihr schaut ja so erschrocken, wie damals die
Hirten auf dem Feld, als ihnen der Engel erschienen ist“, meinte Lisas Mama
scherzhaft.
„Genau“, flüsterte Fritzi, doch Lisa knuffte sie
in die Seite.
Dann gingen sie gemeinsam nach Hause. Die beiden
Freundinnen nahmen sich bei der Hand und folgten ihren Eltern schweigend.
Dieses Ereignis am Heiligabend behielten beide für
immer und ewig in ihrem Herzen.
© Martina Pfannenschmidt, 2014