Hoch schwanger brachte Elisabeth ein paar Scheite
Holz ins Haus. Das Feuer drohte zu erlischen. Ein schwerer gusseiserner Topf
stand auf der Feuerstelle. Mit einem großen Holzlöffel rührte sie den dicken
Brei, der sie später sättigen sollte.
Elisabeth krümmte sich. Durch ihren Bauch zog ein
Schmerz, der sie so plötzlich wie ein Blitz traf. Sie brach neben der
Feuerstelle zusammen. In dem Moment betrat ihr Mann das Haus. Er erschrak, als
er seine Frau so sah.
„Schnell“, bat sie, „die Hebamme soll kommen.“
Jakob lief ein paar Häuser weiter, um sie zu holen.
Es war ihr erstes Kind und er war sehr hilflos.
Ohne anzuklopfen riss er die schwere Holztür auf
und rief sogleich nach Magdalena, der Hebamme. „Was ist los, Jakob?“, fragte
sie, als er so aufgelöst vor ihr stand.
„Komm schnell, Magdalena, es bleibt keine Zeit.
Elisabeth, sie hat starke Schmerzen. Das Kind, es will kommen. Sie darf nicht
sterben, hörst du Magdalena, meine Frau darf nicht sterben!“
„Lauf und mach heißes Wasser“, herrschte sie ihn
an. Sie fühlte, dass die Geburt kurz bevor stand und die Situation sehr ernst
war. Schnell schnappte sie ihren Beutel und eilte dem Mann hinterher.
„Wir müssen sie aufs Bett legen. Es sieht nicht
gut aus“, sagte sie mehr zu sich selbst.
Jakob hörte ihre Worte jedoch und sie gingen ihm durch
Mark und Bein. Seine geliebte Frau, sie durfte nicht sterben. Was sollte er
allein mit einem Kind?
Die Hebamme untersuchte die Schwangere.
„Es tut so weh“, stöhnte sie. „Es tut so höllisch
weh.“
„Das Kind, es liegt noch nicht richtig. Wir müssen
ihm helfen, sich zu drehen.“
Elisabeth schrie auf. Sie wurde von einer weiteren
heftigen Wehe geschüttelt. Die erfahrene Hebamme nutzte diese, um das Kind zu
drehen. Rosa, die Mutter von Jakob, betrat den Raum, um Magdalena und ihrer
Schwiegertochter beiseite zu stehen. Es war nicht die erste Geburt, der sie
beiwohnte. So war sie eine wertvolle Hilfe.
Die Stunden vergingen. Elisabeth wurde von
heftigen Wehen durchzogen und dabei immer schwächer. Dann endlich. Das Kind war
da. Die Nabelschnur hatte sich um seinen Hals gelegt, aber es lebte. Mit
schnellen Griffen entfernte Magdalena diese Schlinge, damit das Kind nicht
erstickte. Sie gab ihm einen kurzen Klaps auf den Po. Endlich: Der ersehnte
Schrei.
„Elisabeth, schau, es ist ein Mädchen“, sagte die
Hebamme und hielt das Kind kurz hoch, damit die Mutter es sehen konnte.
Anschließend durchtrennte sie fachgerecht die Nabelschnur. Sie übergab das Kind
an die Großmutter, damit diese es in ein Laken
hüllte.
Die Hebamme kümmerte sich derweil um die junge
Mutter. Die Nachgeburt wollte sich nicht lösen. Magdalena legte warme Tücher
auf den Bauch und wandte ein paar hilfreiche Handgriffe an. So löste sie sich.
Jedoch konnte sie gegen die einsetzende starke Blutung nichts tun. Die
geschwächte Frau würde vor ihren Augen verbluten. Diese Momente waren furchtbar.
Ebenso wie die, ein totgeborenes Kind zu holen.
Elisabeth lag blass
und erschöpft auf ihrem Laken. Jakob, ihr Mann, betrat den Raum und erfasste sogleich
die Situation.
„Du darfst nicht sterben, Elisabeth“, wiederholte
er wieder und wieder. „Ich will das Kind nicht ohne dich“, schrie er. „Hörst
du. Mach es tot Mutter, mach es tot. Meine Elisabeth soll leben. Lieber soll
das Kind sterben.“
„Junge, was sagst du da?“, schrie seine Mutter
entsetzt. „Du versündigst dich vor Gott. Deine Frau wird sterben. So ist es
sein Wille. Aber dein Kind, es wird leben.“
„Gebt mir mein Mädchen“, bat Elisabeth mit
schwacher Stimme. Die Hebamme legte das Neugeborene in ihre Arme. „Sie soll
Katharina heißen“, hauchte die Sterbende. Mit letzter Kraft wandte sie sich der
Hebamme zu. „Nimm du sie zu dir, Magdalena. Ich glaube, so ist es von Gott
gewollt.“
„Nein!“, war ihre erste Reaktion. „Nein, niemals.
Das ist unmöglich!“
„Sie kann nicht bei Jakob bleiben. Er wird sie
töten. Erfüll mir meinen letzten Wunsch, bitte!“
Magdalena erhörte das Flehen der Mutter dann doch,
und versprach, dass Kind zu sich zu nehmen und es aufzuziehen. Elisabeth
verstarb noch zur selben Stunde.
Katharina lebte nun schon seit zwölf Jahren bei
Magdalena und ihrem Mann. Sie wusste nicht davon, dass ihre leibliche Mutter
bei ihrer Geburt verstorben war und auch nicht, dass Jakob, ihr Nachbar, ihr leiblicher
Vater war. Es war allen Beteiligten gelungen, dies zu verschweigen. Für das
Kind waren Magdalena und Mychell seine Eltern. Dass es keine weiteren
Geschwister gab, wunderte Katharina nicht.
Sie war ein liebenswertes Mädchen, das sich am
liebsten draußen in der Natur aufhielt. Magdalena konnte sich ein Leben ohne
sie gar nicht mehr vorstellen. Wenn sie gemeinsam Heilkräuter sammelten, waren
sie sich besonders nahe. Schon in ganz jungen Jahren konnte Katharina die
meisten der Kräuter mit Namen benennen und sie wusste, wie sie angewandt werden
mussten. So sollte der Tee des Ruprechtskrautes bei Kinderlosigkeit helfen. Auch
hatte ihre Mutter sie bereits in die Geheimnisse der Yamswurzel eingeführt. Die
verhütende Wirkung war ihr bekannt, doch es war für die Hebamme gefährlich, den
jungen Frauen davon zu erzählen. Eine Verhütung wurde von Seiten der Kirche
nicht geduldet und hart bestraft. Es hätte sie das Leben kosten können, wenn
herausgekommen wäre, dass sie dieses Wissen weitergab. Aus diesem Grunde musste
sie äußerst vorsichtig sein.
Katharina liebte besonders den Lavendel. Wenn ihre Mutter daraus
wertvolles Öl herstellte, war sie stets zugegen. Sie genoss den Geruch und
durfte sich auch von dem Lavendelöl nehmen. Magdalena gebrauchte es ansonsten
für die Schwangeren. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Weil Katharina
immer so wundervoll nach diesem Öl duftete, war sie im ganzen Ort als das ‚Lavendelmädchen’
bekannt.
Wurde ihre Mutter zu einer Geburt gerufen, folgte
sie ihr heimlich, stand hinter den Fenstern und beobachtete das Treiben und das
Tun der Hebamme. Sie hatte großen Respekt vor der Arbeit ihrer Mutter und war
stolz darauf, ihre Tochter zu sein. Für sie kam später kein anderer Beruf in
Frage: Sie würde auch einmal Hebamme werden und sich von ihrer Mutter in alle
Geheimnisse dieses Berufes einweihen lassen.
Oft sah man das Mädchen in der Nähe eines Teiches spazieren
gehen. Eine Storchenfamilie, die dort lebte, kam dem Kind dabei sehr nahe.
Adebar ließ sich sogar von ihr streicheln. Außenstehende konnten den Eindruck
gewinnen, als würde Katharina mit ihm ein Gespräch führen. Dass es wirklich so
war, wussten nur ihre Eltern. Das Mädchen war mit der Gabe geboren worden, sich
mit den Tieren zu verständigen. Eine besonders enge Beziehung hatte sie zu den Störchen.
„Adebar“, fragte sie ihn, als er neben ihr stand
und Katharina sanft über sein Gefieder strich, „sag mir, warum sagen die
Menschen, dass du die Kinder bringst?“
„Das ist eine sehr alte Geschichte, mein liebes
Kind. Es steckt ein Geheimnis darin, das wir nicht Vielen preisgeben dürfen. Es
ist kein Märchen, dass wir etwas mit der Geburt eines Kindes zu tun haben. Es
entspricht der Wahrheit. Schau dir deinen Bauchnabel an. Dort hinein geben wir den
Bauplan Gottes und damit die Erlaubnis, in diesem Körper ein Kind entstehen zu
lassen. Ohne diesen göttlichen Plan würde keine Zelle wissen, welche Aufgabe
sie hat. Nur dadurch kann ein Mensch entstehen.“
„Du hast Recht. Es wäre nur ein Zellhaufen, der
nicht weiß, wozu er da ist.“
„Siehst du.“
„Wie bringst du den Plan, Adebar. Erzähl mir, wie
geht es vonstatten?“
„Nachts, mein Kind, wenn alle schlafen, schleiche
ich mich ins Zimmer und gebe diesen Plan, der sich in einer weißen Kugel
befindet, durch den Bauchnabel in die Bauchhöhle der werdenden Mutter. Von dort
rollt er an seinen Platz.“
„Deshalb hast du einen so langen und spitzen Schnabel,
damit du dort hinein reichst. Wahrscheinlich sind deine Beine so lang, damit du
dich neben das Bett der Frau stellen kannst. Ist es so?“
„Ja, so ist es. Ohne uns gäbe es kein einziges
Kind auf dieser Welt. Wie du an unserem Schreiten erkennst, macht uns das sehr
stolz.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Irgendwie hat es den Anschein, als
ahnten die Menschen von unserem Tun.“
„Adebar?“
„Ja!“
„Werde ich auch einmal Kinder haben?“
„Ja, Katharina. Doch du wirst nicht ein Kind haben, sondern hunderte.“
„Hunderte?“, fragte sie ungläubig.
„Ja, Katharina, hunderte! Weißt du, mein Kind, deine
Mutter konnte keine Kinder bekommen. Deshalb musste eine andere Frau dich
austragen. Doch du warst immer als Kind für Magdalena bestimmt, denn du sollst
eine großartige und bekannte Hebamme werden. Du wirst des Königs Kinder auf die
Welt bringen und hunderte andere. Du wirst die Tochter des Königs vor dem Tod
bewahren und deshalb vom Königshaus geschützt sein. In deinem Beruf wirst du
aufblühen und es wird nichts Schöneres für dich geben, als den Frauen bei der
Geburt zu helfen. Du wirst weise sein und gebildet und jedermann wird deinen
Rat suchen. Glaube mir, dir wird kein eigenes Kind fehlen. Deine eigenen Kinder
werden in einem anderen Leben zu dir finden.“
© Martina Pfannenschmidt, 2015