Simone hielt das Foto ihrer ehemaligen Klasse
in ihren Händen. Der eine oder andere Name fiel ihr wieder ein. Sie schmunzelte
bei den Erinnerungen.
Olaf - er war der
Hallodri der Klasse – doch er sah so unverschämt gut aus. Es gab kein Mädchen,
das nicht in ihn verliebt war. Scheinbar schien die Sonne nur für ihn.
Es gab keinen Tag, an
dem er nicht den Pausenclown spielte oder in einer anderen Form auffiel. Bei
den Lehrern war er nicht so beliebt, wie bei den Mädchen der Schule.
Olaf war kein besonders guter Schüler, doch
Simone ahnte, dass er auch so seinen Weg gemacht hatte. Mit seinem Charme
machte er sicher das eine oder andere Defizit wett.
Simone gehörte zu den
Mädchen, die keine Chance bei ihm hatten. Er war mit dem hübschesten Mädchen
der Schule liiert. Da hatte sie keine Option.
Simone war pummelig,
trug eine Zahnspange und in ihrem Gesicht prangten dicke rote Pickel. Doch
schauen und träumen war ja nicht verboten. Und Simone träumte – an jedem Tag
den der Herrgott gab.
Dann sah sie sich in
seinen Armen liegen, spürte seine Küsse und sah die anderen Mädchen neidvoll am
Rand stehen.
Heute war alles anders.
Die Pickel der Pubertät gehörten lange der Vergangenheit an. Sie hatte das
Schwimmen für sich entdeckt und mit einer zusätzlichen Ernährungsumstellung ihr
Gewicht in den Griff bekommen.
Heute war Simone
schlank. Die Zahnspange hatte ihre Zähne gerichtet und ihr Lächeln hatte
Charme.
Es war kaum zu glauben,
dass seit der Schulentlassung 20 Jahre ins Land gezogen sein sollten.
Ines lud zu einem
Klassentreffen ein und Simone sagte ihr Kommen zu. Sie freute sich darauf, den
einen oder anderen wieder zu sehen.
Bestimmt waren die
meisten inzwischen verheiratet und hatten, genau wie sie, Kinder.
Simone war vor 13 Jahren Mutter von Zwillingen
geworden. Sie gab damals ihren Beruf auf und kümmerte sich seither um die
kleine Familie, das Haus und den Garten. Sie ging in ihrer Rolle als Hausfrau
und Mutter auf.
Simone wollte das
Klassentreffen mit ein paar Tagen Urlaub bei ihren Eltern verbinden.
Sie hatte für ihre
Familie vorgesorgt. In der Kühltruhe stand das Essen für jeden Tag, so musste
die Bande nicht verhungern.
Am späten Nachmittag
bezog sie das Gästezimmer ihres Elternhauses.
Als sie am Abend auf
dem Weg zum Klassentreffen war, stellte sich ein Kribbeln in der Bauchgegend
ein. Sie konnte eine gewisse Aufgeregtheit nicht leugnen.
„Ob ‚Er’ auch wohl da
ist?“, fragte sich Simone und schüttelte gleich darauf über sich selbst den
Kopf. Es war über 20 Jahre her, doch die Erinnerung an Olaf und ihre damaligen
Träume waren noch sehr präsent.
Es waren schon einige
ihrer ehemaligen Mitschüler anwesend und Simone wurde mit einem lauten „Hallo,
wer bist du denn?“, begrüßt. Die meisten ihrer Mitschüler erkannten sie nicht
und auch Simone hatte Probleme mit dem Wieder- erkennen.
Die Tür öffnete sich
und es war Simone, als wäre sie noch ein Teenager; als hätten die
Schmetterlinge von damals nur auf diesen Moment gewartet. Sie erkannte Olaf
sofort.
Er kam auf sie zu,
reichte ihr die Hand und sagte: „Hallo, schöne Frau. Du sollst auch in meiner
Klasse gewesen sein? Das halte ich für ein Gerücht. An dich könnte ich mich
ganz sicher erinnern.“
Es war Ina, die neben ihnen
stand, und Olaf aufklärte, wer sie war. Simone spürte, wie sein Blick sie
musterte.
„Jetzt verstehe ich
dass endlich, wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird“, hörte Simone ihn
sagen.
Vielleicht war es nicht
das intelligenteste Kompliment, doch es verfehlte nicht seine Wirkung.
Es wurde ein
weinseliger Abend. Sie erzählten durcheinander und hatten viel Spaß. Natürlich
fehlten nicht die Anekdoten von damals.
Alle schwelgten in
Erinnerungen.
Simone bemerkte die
Blicke, die Olaf ihr sandte, doch sie ignorierte sie. Dass ihr dabei ein
wohliger Schauer über den Rücken lief, konnte er ja nicht sehen.
Jetzt wurde es aber
Zeit, nach Hause zu gehen. Simone hatte eindeutig zu viel Wein getrunken.
Sie verabschiedete sich
von Ines und bedankte sich nochmals für die Organisation dieses wunderbaren
Abends.
Man versprach sich, den
Kontakt nicht wieder abbrechen zu lassen, ahnte jedoch, dass man es nicht
einhalten würde.
Simone stand am
Ausgang, als sie gefragt wurde: „Darf ich dich nach Hause begleiten?“
Sie wusste, wer hinter
ihr stand und nickte nur. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
Dann unterbrach Olaf die Stille.
„Du bist eine
wunderschöne Frau geworden, Simone“, sagte er. „Hätte ich dir doch damals nur
mehr Beachtung geschenkt. Wie dumm ich war.“
Seine Worte waren wohl
gewählt und fanden ihr Ziel. Simone fühlte sich in seiner Nähe sehr wohl.
Olaf blieb stehen,
drehte Simone zu sich und küsste sie. Einfach so. Und sie ließ es geschehen.
Endlich! Endlich erfüllten sich ihre Träume.
Da Olaf auch ein paar
Tage in seiner Heimat verbringen wollte, verabredeten sie sich für den
kommenden Tag.
Simone wusste, es war
ein Spiel mit dem Feuer und doch konnte sie ihm nicht widerstehen.
Seine Worte
schmeichelten ihr. Sie ließ einfach alles geschehen, ohne über die Konsequenzen
nachzudenken.
Sie verbrachten einen
wundervollen Tag, aßen gemeinsam zu Abend und seine Blicke verrieten ihr, dass
er mehr wollte.
Simone war verwirrt.
Sie war glücklich verheiratet und jetzt saß sie hier mit ihrer heimlichen
Jugendliebe und war kurz davor, ihren Mann mit ihm zu betrügen.
Simones Handy
klingelte. Es waren ihre Zwillinge. Sie erzählten von ihrem Tag und dass sie
sich schon sehr auf ihr Wiederkommen freuten.
Dann war ihr Mann am Apparat. Er würde sie
auch sehr vermissen, sagte er ihr und wie sehr er sie lieben würde.
Simone stand vom Tisch auf, bedankte sich bei
ihrem Gegenüber für den schönen Tag und das Essen und verließ schnellen
Schrittes das Lokal.
Sie ließ einen
verdattert drein schauenden Olaf zurück.
„Danke, lieber Gott“,
sagte sie, „dass du gerade noch rechtzeitig die Feuerwehr geschickt hast.“
© Martina Pfannenschmidt, 2014