Eigentlich war Julia selbstbewusst und nicht auf
den Mund gefallen, doch bei ihrem ersten Bewerbungsgespräch konnte sie dies
nicht unter Beweis stellen. Sie war einfach zu aufgeregt.
Dabei hatte sie mit ihrem Vater ein solches
Gespräch nachgestellt und er bläute ihr ein, ja nicht zu lasch die Hand zur
Begrüßung zu reichen und nicht von sich aus die Frage nach Urlaubs- und
Arbeitszeiten zu stellen.
Das sie pünktlich sein müsse und korrekt
gekleidet, stand außer Frage.
Julia speicherte alles in ihrem Kopf ab und war
auf die Fragen gut vorbereitet.
Ihre Stärken wollte sie hervorheben und auch auf
die Frage, wo sie sich in 5 Jahre sehen würde, hatte sie eine Antwort parat.
Doch was fragte sie der Personalchef? „Was sind
ihre Schwächen“. So eine Gemeinheit.
Natürlich
kannte sie die. Zum Beispiel hatte sie wenig Erfahrung darin, Vorträge zu
halten oder ein bestimmtes Thema vor anderen zu präsentieren.
Auch gab es
das eine oder andere Computer-programm, mit dem sie auf Kriegsfuß stand. Doch
das wollte sie so natürlich nicht sagen.
Also war sie ins Stottern geraten und konnte
keinen guten Eindruck hinterlassen – trotz ihres wirklich guten Zeugnisses.
Schon damals ahnte sie, was sich später
bestätigte. Sie erhielt mit netten Worten für die Zukunft ihre
Bewerbungsunterlagen zurück.
Julias Freunde machten ihr
Mut. Nur wenige hatten bereits eine Arbeitsstelle gefunden. Viele bekamen noch
nicht einmal ihre Bewerbungsunterlagen zurück. Das war schon frustrierend.
Julia zählte sich
eigentlich nicht zu den Pechvögeln dieser Welt, doch auch beim zweiten
Bewerbungsgespräch war etwas schief gelaufen.
Sie war zwar noch besser
vorbereitet, doch sie plante nicht ein, dass sich der Zug so verspäten würde,
dass sie es nicht mehr rechtzeitig zum Bewerbungsgespräch schaffen würde.
Sie rief noch aus dem Zug
heraus bei der Sekretärin des Personalchefs an, um ihre Situation zu erklären,
doch dieser machte später keinen Hehl daraus, dass ihm dies missfiel.
Dass Züge sich verspäten
könnten, sei bekannt und dies müsse man einplanen.
Damals fand sich Julia
ungerecht behandelt und war über die Absage ganz froh.
Jetzt stand zum dritten
Mal ein Gespräch an. Man könnte meinen, Julia sei nun erfahrener und deshalb
ruhiger gewesen, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein.
Natürlich hatte sie aus
den ersten beiden Vorfällen gelernt und nahm jetzt einen Zug früher, als nötig.
Doch man wusste ja nie, was noch alles passieren konnte.
Es war fast so, als hätte
sie mit ihren Gedanken alle Schwierigkeiten, die ihr widerfuhren, angezogen.
Sie saß also überpünktlich
und schick gekleidet im Zug, kam auch rechtzeitig an, doch auf dem Weg zur
Firma blieb sie mit ihrem schmalen Absatz in einem Rost stecken und er brach
ab.
In letzter Minute konnte
sie den Schaden noch mit einem Sekundenkleber beheben, doch den Kaugummi, den
sie sich vor lauter Aufregung in den Mund gesteckt hatte, vergaß sie dabei.
Es machte keinen guten
Eindruck, kauend vor dem Gesprächspartner zu sitzen.
„Das kann doch alles nicht
wahr sein“, dachte Julia, als sie nach dem Gespräch das Gebäude verließ. Ihr
war schon klar, dass wieder eine Absage kommen würde.
Als sie verzweifelt zu
Hause am Esstisch saß, tröstete ihre Mutter sie. „Kind, sei nicht allzu
traurig. Nichts auf der Welt geschieht ohne Grund.
Wahrscheinlich war noch nicht die für dich
passende Firma dabei. Du hast doch noch einige Bewerbungen verschickt. Da wird
schon noch das Richtige kommen. Ich bin ganz zuversichtlich.“
„Schön“, dachte Julia,
„dass du zuversichtlich bist. Wichtiger wäre wohl, dass ich es auch bin“. Doch
insgeheim hoffte sie natürlich, dass ihre Mutter Recht behalten würde.
Als Julia zwei Tage später
nach Hause kam, überraschte ihre Mutter sie mit der Nachricht, dass sie zu
einem weiteren Bewerbungsgespräch eingeladen sei.
Einerseits war Julia sauer
darüber, dass ihre Mutter ihre Post geöffnet hatte, doch die Freude überwog und
so wollte sie keinen Streit vom Zaum brechen.
Doch die Angelegenheit
musste sie mit ihrer Mutter in jedem Fall noch einmal besprechen. Ihre Post zu
öffnen war echt unmöglich.
Julia ging alle Fragen
noch einmal mit ihrem Vater durch. ‚Wie würden Freunde sie beschreiben’ zum
Beispiel.
Das war gar nicht so
einfach. Man durfte einerseits sein Licht nicht unter den Scheffel stellen,
aber andererseits auch nicht zu sehr von sich überzeugt sein. Ein schmaler
Grad. Ganz fies war auch die Frage: ‚Warum sollten wir gerade sie einstellen’.
„Weil ich gut mit Stress
umgehen kann zum Beispiel“, wäre daraufhin ihre Antwort „und weil ich
zuverlässig die Aufgaben erledigen werde, zielorientiert arbeite und mit
Fehlern professionell umgehen kann“.
Sie war so gut vorbereitet
wie nie. Trotzdem lag ein dicker Kloß in ihrem Magen an dem Morgen ihres
Vorstellungsgespräches.
Ihre Mutter machte ihr Mut
und so verließ sie dann doch hoch erhobenen Hauptes ihr Elternhaus. Diesmal
musste es klappen.
Sie war auf alle
Eventualitäten vorbereitet – dachte sie zumindest.
Da Julia viel zu früh an
ihrer eventuellen neuen Arbeitsstelle ankam, war noch Zeit für einen Kaffee.
Gerade in dem Moment, als
sie die Tür öffnen wollte, wurde diese von drinnen aufgestoßen und eine Frau
mit einem Kaffee in der Hand stürzte heraus.
Das heißt, sie stürzte
nicht heraus, sondern lief direkt in Julias Arme. Leider hatte sie noch nicht
den Deckel auf ihren Kaffeebecher gestülpt, so dass der Kaffee in einem hohen
Bogen direkt auf der weißen Bluse von Julia landete.
„Verdammt noch mal“,
entfuhr es Julia. „Können sie denn nicht aufpassen. O nein, dass darf doch
alles nicht wahr sein. Ich habe gleich ein Bewerbungsgespräch – und jetzt das“.
Tränen traten in ihre
Augen. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr.
„Es tut mir unendlich
leid“, sagte die Frau. „Wissen sie was. Ich habe zwar gleich auch ein
Bewerbungsgespräch, aber ich schenke ihnen meinen Schal. Wenn sie den tragen,
dann sieht man die Kaffeeflecken nicht mehr. Es tut mir wirklich sehr leid,
doch mehr kann ich im Moment nicht für sie tun. Natürlich trage ich die Kosten
für die Reinigung“.
„Lassen sie nur“,
antwortete Julia resigniert. „Die Flecken werden beim Waschen schon heraus
gehen“.
„Doch ich bestehe darauf,
dass sie meinen Schal nehmen“, sagte die Frau bestimmend und legte Julia diesen
in die Hand. „Toi, Toi, Toi für das Gespräch und alles Gute für sie, ich muss
jetzt leider weiter.“
Julia suchte die Toilette
auf und band den Schal um. Der ließ sie zwar älter wirken, als sie war, doch er
verdeckte die Kaffeeflecken ganz gut. Julia hatte jetzt keine Lust mehr auf
einen Kaffee und machte sich direkt auf den Weg zum Gespräch.
Die Tür wurde geöffnet und
Julia hereingerufen. Ein junger Mann kam schwungvoll auf Julia zu und begrüßte
sie freundlich.
„Darf ich vorstellen“,
sagte er dann und wandte sich an eine Frau, die Julia noch den Rücken zuwandte,
„das ist Frau Müller, unsere Personalchefin“.
Jetzt drehte sich Frau
Müller mit einem Lachen im Gesicht zu Julia um.
„Einen hübschen Schal
tragen sie da“, hörte Julia Frau Müller sagen, „sie haben einen exzellenten
Geschmack.“
Frau Müller war nicht nur
ausgesprochen nett, sondern auch die schwungvolle Dame mit dem Kaffee. Von
Julia fiel alle Last ab. Sie strahlte Frau Müller an. Beide Frauen verrieten
dem jungen Mann nicht, dass sie sich bereits kannten.
Als Julia das Unternehmen
verließ, hatte sie ein gutes Gefühl. Sie gab den Schal am Empfang ab mit der
Bitte, ihn Frau Müller zu übergeben.
Eine Woche später meldete
sich Julias Mutter telefonisch, um ihrer Tochter mitzuteilen, dass sie eine
Zusage bekommen habe.
Julia jubelte vor Freude,
doch da gab es ein Thema, das sie am Abend unbedingt mit ihrer Mutter klären
musste: Das Postgeheimnis!
© Martina Pfannenschmidt, 2014