„Was
denkt ihr“, flüsterte Stups seinen Geschwistern zu, „verdammt dunkel hier. Ob
das der richtige Ort für uns ist?“ Pips, Sweety und Krümel sahen sich scheu um.
Stups hatte Recht. Es war wirklich dunkel und auch ein bisschen unheimlich.
Krümel, der Kleinste unter den Geschwistern, antwortete ängstlich: „Ich glaub,
wir sollten lieber wieder gehen!“, doch die anderen waren mutiger und
beschlossen, sich zunächst einmal genauer umzusehen.
Die
vier Mäuse wohnten bisher auf einem Bauernhof, doch ein großer schwarzer Kater,
der ihnen ständig auflauerte, hatte sie dort vergrault. Es glich überhaupt einem Wunder, dass sie noch lebten
und ihm nicht bereits zum Opfer gefallen waren.
Deshalb
hatten sie sich auf den Weg gemacht, um sich ein neues Zuhause zu suchen. Als
sie dieses riesige Gebäude mit dem gigantischen Turm gesehen hatten, war ihnen klar: dort müssen wir hinein. Da
sind wir bestimmt sicher.
Schnell
fanden sie einen kleinen Spalt im Mauerwerk, durch das sie sich ins Innere
dieses großen Gebäudes begeben konnten.
„Schau
mal“, scherzte Pips, um die
Situation aufzulockern und zog dabei eine lustige Grimasse, „dort die Nase von
der komischen Figur, die ist genau so schief, wie das kleines spitze
Schnäuzchen unserer kleinen Sweety“. Krümel kicherte, doch Stups, der Älteste, herrschte Pips scharf an. „Rede
keinen Unfug. Schau dir lieber deine
eigene Nase an.“ Schon war Ruhe.
Die
Vier rannten einen ziemlich langen Gang entlang, der zu einem wunderschönen
Raum führte. Hier war es nicht mehr so dunkel, denn durch die herrlich bunten
Fenster fiel das Licht direkt auf einen großen Tisch. Dort standen Blumen und
Kerzen und ein Kreuz aus Holz, an dem ein Mann hing, der aus einigen Wunden
blutete.
„Ich
glaube“, stotterte Sweety, „wir sollten uns lieber verkrümeln, sonst enden wir
genau, wie der Mann dort an dem Kreuz.“
„Aber
das ist doch Jesus“, fuhr Stups seine Schwester an. „Unsere Mutter hat uns doch
oft von ihm erzählt. Und jetzt weiß ich auch, wo wir sind. Wir sind in einer
Kirche“.
„Aber
sagt man nicht von den Mäusen, die hier leben, sie seien arm?“, erkundigte sich
Pips, ‚arm wie eine Kirchenmaus?’
„Hier
müssen wir bestimmt verhungern“, gab Krümel zu bedenken, bekam darauf jedoch keine
Antwort, denn die anderen kannten das schon. Krümel hatte ständig Angst und sah
immer alles nur schwarz.
Dann
machten sie sich auf die Suche nach etwas Essbarem, da sich große Löcher in
ihren Bäuchen auftaten. An einem Tischbein wurden sie fündig. Dort lag vom
letzten Abendmahl ein kleines Stückchen trockenen Brots, das dem alten Hermann
aus seiner zitternden Hand gefallen war. Ein großes Glück für die Mäuse, auch
wenn es schon ziemlich trocken war, so schmeckte es ihnen doch sehr gut. In
jedem Fall beschlossen sie, zunächst einmal in diesem Gemäuer zu bleiben.
Hin
und wieder betrat ein Mensch die Kirche, setzte sich in eine der vielen
Bankreihen und betete, oder zündete eine Kerze an. Das war ein Segen für die
kleinen Spitzmäuse, denn dort konnten sie sich aufwärmen oder im Schein der
Kerze Geschichten erzählen.
Stups
war ein besonders guter Geschichtenerzähler und so bettelten seine Geschwister
so lange, bis er sich erweichen ließ.
„Man
erzählt sich“, so begann er, „dass Gott wütend war, weil die Menschen Krieg
gegeneinander führten und böse waren. Deshalb beschloss er, den Menschen eine
Sintflut zu schicken, also ganz viel Regen, der alles überfluten sollte. Doch
Gott wollte, dass ein Mann, der Noah hieß, gemeinsam mit seiner Familie überlebte,
denn Noah war ein guter Mensch und so erschien Gott Noah in seinen Träumen und
sagte ihm, dass er ihn mit dem Bau eines sehr großen Schiffes, einer Arche,
beauftragen würde. Und weil Noah sehr gläubig und gottesfürchtig war, begab er
sich sogleich an die Arbeit. Es dauerte eine Weile, bis er damit fertig war.
Dann ordnete Gott an, dass sich immer zwei Tiere von jeder Art auf den Weg zur
Arche machen sollten, damit sie diese Sintflut überleben könnten. Alle Tiere
folgten diesem Aufruf, nur die nicht, die im Meer lebten, die brauchten keinen
Platz in der Arche. Zwei Flöhe kamen im Fell eines Hundes an Bord. Die anderen
gingen oder flogen. Als das Schiff schon voll besetzt war, schaute Noah, bevor
er die Luke schloss, noch einmal genau nach, ob auch wirklich alle Tiere ihren
Platz eingenommen hatten. Und was denkt ihr, waren alle da?“, frage Stups seine
Geschwister.
„Keine
Ahnung“, meinte Sweety.
„Ich
glaub schon“, war Pips sicher, „denn alle Arten wollten ja überleben.“
„Was
denkst du“, sprach Stups Krümel an, „waren alle an Bord?“
„Bestimmt
nicht. Bestimmt hat ein Tier verschlafen oder gar nicht davon gehört“,
erwiderte er.
„Ganz
genau so war es. Man hatte vergessen, uns Spitzmäuse zu benachrichtigen. Als
Noah dies auffiel und er los laufen wollte, um unsere Vorfahren zu holen,
hielten die anderen Tiere ihn auf, weil sie meinten, wir seien doch sowieso nicht
nützlich. Doch da wurde Noah sehr böse und fragte sie, wer ihnen das Recht dazu
gäbe, darüber zu urteilen, denn alles was Gott erschaffen habe, sei wertvoll,
sinnvoll und auch nützlich. Da schämten sich die anderen, weil sie so schlecht
von uns gesprochen und gedacht hatten. Schnell liefen einige los, um zwei unserer
Vorfahren zu holen. Gerade noch rechtzeitig schafften sie es zurück. Dann schloss
Noah die Luke und die Arche trieb davon. Genau wie Gott gesagt hatte, ließ er
es 40 Tage lang sehr stark regnen. Als es aufgehört hatte zu regnen, schickte
Noah eine Taube aus, um zu schauen, ob das Wasser bereits fort war. Als sie
kurz darauf mit einem Ölzweig im Schnabel zurückkam, als Beweis dafür, dass es
an Land wieder grün war, öffnete Noah das große Tor und die Tiere verließen die
Arche. Zuerst durften die großen Tiere das Schiff verlassen, dann die kleineren
und zuallerletzt verließen zwei Spitzmäuse die Arche. Am Himmel über ihnen
stand dabei ein großer Regenbogen, das Zeichen Gottes, dass es einen neuen Anfang
für alle Menschen und Tiere auf der Erde geben würde.“
Die
drei Geschwister hatten ihrem großen Bruder aufmerksam zugehört und waren ganz
angetan von seinen Ausführungen. Dann wurde die Kirchentür geöffnet und mehrere
Männer trugen etwas in die Kirche, was sich als ein großer Schatz für die
Spitzmäuse zeigte, denn es handelte sich um einen riesengroßen Erntekranz, den
die Menschen als Dank für eine gute Ernte aus den unterschiedlichsten
Getreidesorten gebunden hatten. Das war wie ein reichlich gedeckter Tisch für
die Mäuse.
„Lasst
uns auch Gott danken“, sagte Stups und seine Stimme klang bewegt, „dass er auch
an uns denkt und uns so reichlich beschenkt.“
Als
die Menschen die Kirche wieder verließen, hielten sie inne, denn sie hatten für
einen kurzen Augenblick den Eindruck, als sei jemand im Altarraum, der leise Gott
preiste und ein Dankgebet sprach.
©
Martina Pfannenschmidt, 2014