Donnerstag, 9. November 2017

Buch

Betrachten wir ein Buch.
Schon der Einband kann sehr ansprechend sein.
Wir schlagen es auf – lesen die ersten Seiten.
Was erwartet uns?
Werden wir fasziniert sein von dem Leben,
das uns dort beschrieben wird?
Wird uns eine langweilige oder ergreifende Geschichte erwarten?
Wir werden mit dem Romanhelden um seine große Liebe wetteifern
oder mit ihm in den Krieg ziehen.
Wir leiden und lachen mit ihm, wir erleben sein Leben.
Wenn es ‚gut’ ist, das Buch, in dem wir lesen,
ist es egal, ob es 300 oder 500 Seiten umfasst.
Schon vorbei? Schade!
Ein Buch – geschrieben von einem Menschen,
der die Geschicke eines anderen mit seiner Feder führt.
Er entscheidet, was geschieht.
Die Romanfigur ist dem Autor ausgeliefert.
Kann nichts tun – sich nicht wehren.
Und wir?
Sind wir auch nur eine willenlose Romanfigur
im Buch unseres Lebens?
Lassen wir andere unsere Lebensgeschichte schreiben?
Sind wir wie die Romanfigur einem anderen ausgeliefert?
Vielleicht Gott? Sind wir Gott ausgeliefert?
Schreibt er das Buch unseres Lebens
ohne dass wir ein Wörtchen dabei mitreden können?
Entscheidet er über unser Leben?
Ist es egal, was wir tun, ist er der Lenker – der Autor?
Liegt unser Schicksal in seiner Hand,
wie das Leben einer Romanfigur
in der Hand des Schriftstellers liegt?
Wir können ein oder 1000 Bücher lesen,
wenn wir nicht begreifen,
dass wir am Buch unseres eigenen Lebens mitschreiben,
werden wir nur die Leser anderer Leben bleiben
und das eigene verpassen.
Wenn das letzte Kapitel unseres Buches geschrieben wurde,
ist es egal, ob es 300 oder 500 Seiten umfasste.
War es erfüllt, das Leben?
Schade! Schon vorbei!

© Martina Pfannenschmidt, 2015